Drachenspeise: 1 (Ein Märchen für große Mädchen) (German Edition)
Hauptweg in Richtung der schneeweiß aus dem üppigen Baumbestand herausleuchtenden Gebäude auf den Weg machen. Es war ein tüchtiger Fußmarsch, und Janica kam aus dem Staunen nicht heraus. Diese Vielzahl an Blüten, die buntgefiederten Vögel auf den Ästen, die links und rechts des Weges plätschernden Brunnen, all das kannte sie nicht aus dem Westlichen Königreich. Auch im Schloss ihres Vaters gab es mehrere Brunnen, die gluckerten allerdings nicht nutzlos vor sich hin, sondern waren mit Haspeln versehen, damit die Knechte und Mägde Wasser für Mensch und Vieh aufziehen konnten. Hier im Park des Sultans schien alles nur zur Freude der Sinne angelegt worden sein.
Die Skulpturen, die hier und da im Gelände verteilt standen, gefielen Janica allerdings weniger. Der Bildhauer hatte es geschafft, jeder der lebensecht wirkenden Statuen einen Gesichtsausdruck grenzenlosen Entsetzens zu verleihen. Manche Figuren streckten abwehrend die Hände aus, andere kauerten am Boden oder schienen geradewegs davonlaufen zu wollen.
»Hanad, was sind das nur für schreckliche Plastiken? Gefällt eurem Herrscher das wirklich?«
Der Händler, von dem ungewohnten Fußmarsch heftig schnaufend, hielt einen Moment inne. Janica wäre fast auf ihn geprallt.
»Und ob unserem Gebieter das gefällt! Siehst du den Käfig dort hinten?«
Ja, den Käfig hatte Janica gesehen. Vier Lanzenträger bewachten den Zwinger. Sie sah genauer hin und konnte eine Art Echse hinter den Gitterstäben ausmachen. Die Schuppen des Tieres glänzten in einem unspektakulären Gelbgrün, es war auch nicht größer als ein Hütehund. Aber es trug um den Kopf eine schwarze Maske.
»Das ist ein Basilisk. Wer ihm in die Augen schaut, erstarrt zu Stein! Es ist eine bevorzugte Hinrichtungsart unseres geliebten Sultans, den Delinquenten zu dem Tier in den Käfig zu sperren. Dann nimmt der Pfleger dem Basilisken die Maske ab.«
Janica brauchte einen Augenblick, um zu begreifen, was Hanad soeben gesagt hatte. Bei allen Göttern! Dann waren all diese steinernen Standbilder einst Menschen aus Fleisch und Blut gewesen! Sie stolperte, als er an der Kette zerrte. Das Wasserland wurde ihr immer unheimlicher. Wie konnte man nur eine solche Menge Menschen in steinerne Figuren verwandeln! Der ganze Park stand voll davon!
»Wieso wird dann der Pfleger des Basilisken nicht zu Stein? Und was frisst dieses scheußliche Vieh?«, rutschte es aus ihr heraus, als gäbe es im Moment nichts Wichtigeres zu klären.
»Du bist lästig, Weib!«, murrte Hanad, während er dem Palasttor zustrebte. »Der Betreuer des Basilisken ist natürlich blind, dem kann das Tier noch so lange in die Augen schauen, da passiert einfach nichts. Soweit ich weiß, bekommt der Basilisk nur die edelsten Früchte zur Speise. Er verschmäht Fleisch. Aber genug von dem Unfug! Du wirst dort drin im Palast dein vorlautes Mundwerk halten, hast du verstanden?«
»Hm.« Janica biss sich auf die Zunge. Es zeigte sich immer schwieriger, einfach so davonzulaufen aus diesem Alptraum. Woher sollte sie wissen, was im Wasserland noch für Überraschungen auf sie lauerten! Hier gab es Echsen, die mit ihrem Blick Leute in die Unterwelt schickten, Rinder, die unterseeische Weiden abgrasten und Wächter, denen wichtige Körperteile fehlten. Ganz davon abgesehen, dass das Wasserland eine Insel war. Janica beschloss, zunächst einmal abzuwarten und Informationen zu sammeln.
Inzwischen war der Palast erreicht. Janica gingen schier die Augen über ob all der Pracht. Die Mauern waren nicht einfach nur schlicht weiß gekalkt, sie waren verziert mit einem verschlungenen Muster filigraner Stuckornamente. In das riesige hölzerne Portal waren Intarsien aus anderen Hölzern eingefügt, und die prächtigen Kleider der Torwachen hätten im Westlichen Königreich einem hohen Adeligen zur Ehre gereicht. Janica wagte sich nicht vorzustellen, wie es im Inneren des Palastes aussah.
Aber bevor der Ehrwürdige Händler mit seiner Ware Zutritt erhielt, musste er seinen Dolch abgeben, und einer der Wächter tastete seinen Körper gründlich nach versteckten Waffen ab. Der Sultan des Wasserlandes schien nicht sehr beliebt zu sein, wenn solch drastische Vorsichtsmaßnahmen ergriffen wurden, sobald ein Untertan sein Haus betrat, schlussfolgerte die junge Frau, während der Posten mit zufriedenem Grinsen auch ihren Körper betastete, und dabei besonders ihren Brüsten und der Gegend zwischen ihren Schenkeln ausgiebig Aufmerksamkeit schenkte. Janica
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