Drachentochter
uns den Stadttoren näherten. Lady Dela ruhte in der anderen Ecke und der Schlaf hatte ihre strengen Züge gemildert. Rilla kramte bereits in ihrem Korb nach einer morgendlichen Stärkung. Ihr Haar und ihr Gewand waren so adrett wie immer.
»Ich habe hier etwas für Euch zum Frühstück«, sagte sie leise und gab mir einen kleinen geflochtenen Teller mit einem hart gekochten Ei und etwas eingelegtem Gemüse. Wenigstens würde ich sie nicht mit der ekelhaften Mischung aus Sonnenpulver und dem Tee der Geistermacherin hinunterspülen müssen. Mit diesen beiden Arzneien war ich fertig.
»Für eine Henkersmahlzeit ist das nicht gerade üppig«, sagte ich und versuchte zu lächeln.
Sie ging nicht auf meine Bemerkung ein, sondern pellte vorsichtig ein zweites Ei. »Wenn wir in Euren Gemächern ankommen, werde ich das Reinigungsbad gemäß Lady Delas Anweisungen vorbereiten.« Sie sprach leise. »Die Protokollbeamten haben Euch bestimmt schon die dafür erforderlichen Kräuter bringen lassen. Während Ihr im Bad seid, werde ich die Geschichtenrobe lüften. Es ist ein kluger Gedanke von Lady Dela, dass Ihr sie tragt.«
»Du solltest einfach verschwinden.«
Sie schüttelte den Kopf. »Erst wenn Ihr für die Geisterwache vorbereitet seid.«
Ihre treue Anhänglichkeit beschämte mich. »Danke«, flüsterte ich. »Aber versprich mir, dass du danach abreist.«
Neben mir rührte sich Lady Dela. »Ich hatte nicht damit gerechnet einzuschlafen«, stellte sie fest und musterte die vielen Karren und Fußgänger, die auf dem Feldweg unterhalb unserer gepflasterten Fahrbahn auf Einlass in die Stadt warteten. »Wir sind also angekommen.«
Kurz bevor wir das Stadttor erreichten, wendete Ryko sein Pferd und kam zu uns geritten. Ich setzte mich auf und meine Finger umklammerten den geflochtenen Teller, doch er trieb sein Pferd auf Lady Delas Seite der Kutsche.
»Ich werde Euch jetzt verlassen, Mylady«, sagte er.
Sie nickte. »Viel Glück.«
»Verlassen?«, fragte ich. »Warum verlässt du uns? Wir müssen doch das rote Buch zurückbekommen.«
Ryko sah mich nun doch an und die Härte in seinen Augen verschlug mir den Atem. »Ich muss den Widerstand in Alarmbereitschaft versetzen.« Er riss die Zügel herum und sein Pferd schnaubte bei dieser unsanften Wendung. »Aber macht Euch keine Sorgen um Eure Sicherheit, Lord Eon. Ich werde rechtzeitig zurück sein, um Euch zu beschützen, wie es meine Pflicht ist.« Seine Stimme klang bitter. »Ich erfülle stets meine Pflicht.«
»Und wann hätte ich meine Pflicht einmal nicht erfüllt?«, murmelte ich, doch er war schon davongeritten.
19
Die Mischung aus Jasminblütenblättern und süß duftenden Gewürzen trieb auf der Wasseroberfläche und klebte samtig an meinen Schultern. Rilla hatte das rituelle Reinigungsbad vorbereitet und mich im Becken mir selbst überlassen, um sich im Ankleidezimmer eilends um meine Geschichtenrobe und um ihre Flucht zu kümmern. Ich ließ mich tiefer ins warme Wasser gleiten, atmete den feuchten Wohlgeruch ein und massierte mein Handgelenk. Ich hatte mich so kräftig, wie ich nur konnte, abgeschrubbt, aber ich spürte Idos Berührung immer noch auf meiner Haut und in dem schmerzenden Ziehen von Handgelenk und Hüfte.
Er durfte sich meiner nie wieder bemächtigen. Lieber wollte ich sterben.
Erschrocken von dem dunklen Gedanken, hörte ich auf, meine Hand zu kneten.
War ich wirklich bereit zu sterben?
Ich fuhr mir mit der Zunge über die Lippen und die süßen Badekräuter ließen mich erneut an seinen nach Vanille und Orange riechenden Mund denken. Ich sollte fliehen, sollte mit Rilla und Chart auf die Inseln flüchten. Dieser Kampf um den Thron war nicht mein Kampf. Alle um mich herum hatten mich mitten in diese Auseinandersetzung gestoßen: mein armer Meister, der Kaiser, der Prinz, Lady Dela, Ryko. Selbst Rilla und Chart. Sie alle erwarteten von mir den Sieg, doch dieser Kampf war nicht der meine.
Ich seufzte. Das stimmte nicht, denn inzwischen war es mein Kampf geworden. Ob ich leben oder sterben würde, hing davon ab, ob der Perlenkaiser sich auf dem Thron halten konnte. Und das Leben zu vieler anständiger Menschen hing von meinem Mut ab, mich dem Zorn des jungen Kaisers zu stellen und seine Unterstützung zu gewinnen. Oder – falls die Dinge schiefgehen sollten – von meinem Mut, seinen tödlichen Schwertstoß anzunehmen, um Ido daran zu hindern, Sethon auf den Thron zu bringen, und seinem wahnsinnigen Streben nach der Perlenkette ein
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