Dracula, my love - das geheime Tagebuch der Mina Harker
gesorgt.«
|122| »Sorge dich nicht mehr, meine Liebste«, erwiderte er mit stiller Zuneigung. »Ich bin auf dem Wege der Besserung und werde
nun, da du gekommen bist, sicher noch schnellere Fortschritte machen.« In seiner Stimme schwang wenig Überzeugung mit, und
aus seinen lieben Augen war all seine Entschlossenheit geschwunden. All die ruhige Würde, die ich stets an ihm so bewundert
hatte, war völlig dahin. Er war nur noch ein Schatten seiner selbst.
»Ich lasse Sie beide jetzt ein paar Minuten allein«, sagte Schwester Agatha, nachdem sie Jonathan geholfen hatte, sich im
Bett aufzusetzen, und ihm den Rücken mit Kissen gestützt hatte. »Ich sitze draußen gleich bei der Tür, falls Sie mich brauchen
sollten.«
Nachdem sie den Raum verlassen (und die Tür leicht angelehnt gelassen) hatte, zog ich einen Stuhl ans Bett und nahm Jonathans
Hand in meine. Ich wollte ihn so vieles fragen, aber er sah so müde und zerbrechlich aus, dass ich fürchtete, irgendetwas
zu sagen, das ihn um seine Fassung bringen würde. »Hast du meine Briefe bekommen?«, fragte ich schließlich.
»Welche Briefe?«
»Die, die ich nach Transsilvanien geschickt habe.«
»Du hast mir dorthin geschrieben?«, erwiderte er erstaunt.
»Ja, zweimal. Ich hatte so lange nichts von dir gehört. Ich wusste nicht einmal, ob du sicher dort angekommen warst. Ich habe
Herrn Hawkins um die Anschrift gebeten.«
»Welche Anschrift? Wohin hast du sie geschickt?«
»An die Burg Dracula.« Bei dieser Antwort fuhr er zusammen. »Habe ich mich da geirrt? War das nicht der Ort, an dem du dich
in Transsilvanien aufgehalten hast?«
»Da habe ich mich allerdings aufgehalten«, antwortete er mit plötzlich äußerst grimmiger Miene. »Ich hätte es wissen müssen.
Ich habe deine Briefe nie zu Augen bekommen, Mina. Er muss sie behalten haben.«
»Wer?«
»Der Graf.« Diese Worte spuckte er beinahe aus, mit einem |123| solch giftigen Hass, dass es mich sehr erschreckte. Dann schwieg er plötzlich und schien in Gedanken verloren, während der
wütende Gesichtsausdruck sich völlig veränderte und einer Art Verwirrung mit einer Spur Furcht wich.
»Jonathan, was ist geschehen?«
Er schwieg weiter und wandte den Blick ab. Sein Mund war nur noch ein dünner Strich. Er wirkte wild entschlossen. Er schüttelte
den Kopf, und seine Stimme klang sehr müde, als er schließlich sagte: »Die vergangenen Monate sind wie ein grauer, schlammiger
Sumpf. Immer wenn ich versuche, darüber nachzudenken, so beginnt sich in meinem Kopf alles im Kreise zu drehen, sodass ich
nicht mehr weiß, was Wirklichkeit ist und was die Phantasie eines Wahnsinnigen. Man sagt, ich hätte ein Nervenfieber gehabt,
Mina. Weißt du, was das bedeutet?«
»Es bedeutet, dass du sehr krank warst. Dass du einen großen Schock erlitten hast, der sich auf dein Nervensystem ausgewirkt
hat.«
»Es bedeutet, dass ich wahnsinnig geworden bin.«
»Nein, Jonathan! Das darfst du nicht denken.«
»Es ist die Wahrheit. Nervenfieber, das bedeutet Irrsinn. Wenn ich versuche, mich daran zu erinnern, was geschehen ist, dann
weiß ich, dass es so nicht gewesen sein kann. Ergo muss ich verrückt geworden sein. All die Wochen, selbst als ich sicher
in diesem Bett hier lag und von den guten Schwestern gepflegt wurde, haben mich die grausigen Bilder heimgesucht. Ich kann
einfach nicht daran denken, Mina, oder davon sprechen, weil ich fürchte, wieder verrückt zu werden.«
»Ich verstehe, mein Liebster«, erwiderte ich und beugte mich über ihn, um ihn auf die Wange zu küssen. »Ich werde dich nie
mehr danach fragen, das verspreche ich dir.«
Er wirkte so dankbar, sei es nun wegen meines Versprechens oder wegen meines Kusses, ich konnte es nicht ausmachen. Ich presste
meine Lippen auf seine und hielt sie lange dort.
|124| Nach dem Kuss umfasste er mein Gesicht mit beiden Händen, sodass es nur wenige Zentimeter von seinem entfernt war, und sagte
leise: »O Mina, liebste Mina. Wie sehr ich dich liebe.«
»Ich liebe dich auch.«
»An dich zu denken, unsere Zukunft zu planen, das war das Einzige, das mich hier am Leben erhalten hat. Ich habe dich so vermisst.
Ich will dich so bald wie möglich heiraten. Wärst du damit einverstanden?«
Damit überraschte er mich nun doch. Ich verspürte ein leises Flattern in der Magengrube, lehnte mich im Stuhl zurück und merkte,
wie mein Herz plötzlich zu pochen begann. »Meinst du damit, dass wir hier in Budapest heiraten
Weitere Kostenlose Bücher