Dracula, my love - das geheime Tagebuch der Mina Harker
nichts von deiner ›Quelle‹ verraten,
und da es ein Geschenk ist, will ich es dabei belassen. Vielen herzlichen Dank, mein Liebster, dass du daran gedacht hast.
Es bedeutet mir wirklich ungeheuer viel.« Ich beugte mich zu ihm hinunter und küsste ihn, zog dann den Ring ab und steckte
ihn in das Kästchen zurück. »Behalte ihn noch bis zur Trauung morgen.« Als ich seinen Mantel und andere Kleidungsstücke aufhob,
um sie auf einen in der Nähe stehenden Stuhl zu legen, fiel mein Auge auf das Notizbuch, das neben ihm auf dem Bett lag. »Ist
das dein Tagebuch?«, fragte ich.
|127| »Ja.«
Ich wusste, dass Jonathan die Absicht gehabt hatte, auf seiner Reise nach Transsilvanien stenographische Aufzeichnungen zu
machen, um die Kunst der Kurzschrift zu üben und zu vervollkommnen, genau wie ich es während meines Aufenthaltes in Whitby
getan hatte. Plötzlich kam mir der Gedanke, dass die Antwort und der Schlüssel zu seiner Krankheit auf diesen Seiten zu finden
sein könnten. Dürfte ich es wagen, ihn zu bitten, mich einen Blick hineinwerfen zu lassen?
Er muss mir wohl den Wunsch an den Augen abgelesen haben, denn sein Miene verdüsterte sich, und er sagte leise: »Verzeih mir.
Würde es dir etwas ausmachen … Ich wäre jetzt gern einen Augenblick allein.«
Ich ging zum Fenster, wo ich stehen blieb und schweigend auf die Bäume und den gepflegten Park hinausschaute. Ich war ziemlich
bestürzt über mich, denn ich hatte nie die Absicht gehabt, ihm Qualen zu bereiten. Schließlich rief er mich zu sich zurück.
Er hielt das Notizbuch in der Hand. »Wilhelmina«, sagte er feierlich, und ich wusste, dass es ihm sehr ernst war, denn er
hatte mich seit seinem Heiratsantrag nie mehr mit vollem Namen angesprochen. »Mein Bericht über das, was mir in Transsilvanien
widerfahren ist, befindet sich hier in diesem Buch. Ich habe alles in Kurzschrift aufgezeichnet, wie wir es besprochen haben.
Doch denke ich, dass es vielleicht nur der Bericht eines Wahnsinnigen ist. Ich möchte diese Seiten nie wieder zu Augen bekommen.
Ich will mein Leben stattdessen jetzt und hier wieder neu aufnehmen, indem ich dich heirate. Aber du kennst doch, Liebste,
meine Anschauungen über das Vertrauen zwischen Mann und Frau. Es soll kein Geheimnis, kein Versteckspiel zwischen uns geben.
In jenem Geist der Aufrichtigkeit möchte ich dich bitten, dieses Buch an dich zu nehmen.« Mit diesen Worten legte er mir das
Notizbuch in die Hände. »Nimm es und bewahre es auf; lies es auch, wenn |128| du willst. Aber halte seinen Inhalt von mir fern, es sei denn, es entsteht eine Situation, die es unabdingbar macht, mir die
bitteren Stunden ins Gedächtnis zurückzurufen, über die ich hier, schlafend oder wachend, Buch geführt habe.« Nach diesen
Worten sank er erschöpft in die Kissen zurück.
»Ich respektiere deinen Wunsch, mein Liebster«, versprach ich. »Ich werde das Buch verwahren, und ich lese es jetzt nicht,
wenn überhaupt jemals. Wir wollen nun sehen, dass es dir bald wieder besser geht.« Später wickelte ich das Notizbuch in weißes
Papier, verschnürte es mit einem Endchen blauen Bandes und siegelte es über dem Knoten mit Wachs. Möge dies als äußeres, sichtbares
Zeichen unseres gegenseitigen Vertrauens dienen.
Wir heirateten an jenem Nachmittag. Die Zeremonie war kurz und feierlich. Zum Glück hatte ich mein bestes Kleid mitgebracht,
das bestickte Kleid aus schwarzer Seide, das ich immer schon zu meiner Hochzeit tragen wollte. Seltsam, überlegte ich, als
ich in den Spiegel schaute, um mein Haar zu richten, nun war Lucys Deutung des Brautgedichtes wahr geworden. Ich heiratete
in Schwarz, und ich war tatsächlich weit weg von zu Hause und »wünschte mich zurück«.
Ich streifte meine schwarzen Glacéhandschuhe über. Schwester Klara, eine weitere gute, freundliche Seele, brachte einen Schleier
für mich, und die liebe Schwester Agatha reichte mir ein kleines Sträußchen bunter Blumen, die sie im Garten gepflückt hatte.
Die beiden standen uns als Trauzeugen zur Seite. Jonathan wachte aus seinem Schlummer auf, als alles eben fertig vorbereitet
war. Ich half ihm, sich im Bett aufzusetzen, lehnte ihn gegen die Kissen und nahm dann meinen Platz neben seinem Bett ein.
Als der Geistliche vor uns trat, konnte ich nicht umhin, unsere düstere Umgebung mit einem kleinen Stechen des Schmerzes zu
betrachten. Jonathan ergriff meine Hand und drückte sie, Bedauern in den Augen. »Ich
Weitere Kostenlose Bücher