Dracyr – Das Herz der Schatten
den Armen. Keine Flügel. Keine Klauen. Ein Maul, das keinen Feueratem entlässt, keine Augen, die sehen können, wo Wärme emporsteigt, Kälte sinkt. Blick taucht in Blick. Gormydas, Herzensgefährte. Kay, Nestschwester. Ihre Hand legt sich sanft über die Nüstern und fühlt die samtige Weichheit, den warmen Atem, der durch ihre Finger streicht.
» Gormydas « , flüsterte sie.
Schwester. Willkommen. Der Dracer neigte den Kopf noch tiefer, legte ihn an ihre Hüfte. Sie kraulte die empfindliche Seite seines Kinns, dicht neben den oberen Atemschlitzen, und staunte über die feine Maserung der Schuppen, ihren Schimmer, atmete den Duft seines Körpers ein, der metallisch war und salzig, nach Meer und Blüten roch, so angenehm wie ein Parfum, so wild wie ein Raubtier. Die seltsam entrückte Stimmung, in der sie sich befunden hatte, seit der Dracyrlord sie verhexte, wich einem erwachenden Staunen. Sie stand mitten in der Höhle und umarmte einen Dracer. Dieser Gedanke hätte ihr Angst machen müssen, aber das tat er nicht. Sie fühlte sich zum ersten Mal seit vielen Jahren vollkommen ruhig und glücklich, als wäre sie nach einer langen Reise nach Hause gekommen.
» Gormydas « , sagte sie erneut, laut.
Eine Stimme hinter ihrem Rücken stieà einen Ruf der Ãberraschung und der Entrüstung aus. » Was treibt sie da? Nehmt sie fest! «
Kay drehte sich langsam um, denn sie wollte den Dracer nicht loslassen. Ihre Verbindung war zu frisch, zu neu und zu empfindlich. Der Kontakt ihrer Körper war wichtig und durfte nicht unterbrochen werden, das wusste sie, ohne dass es ihr jemand gesagt hatte. Ein älterer Mann in derber Kleidung kniete neben dem stöhnenden Jungen, der zusammengekauert an der Höhlenwand lag. Er schenkte ihr keine Aufmerksamkeit und Kay vergaà ihn. Sie wandte sich den anderen zu. Männer mit Waffen und langen Leder- und Metallpeitschen. Wachen, die sie vom Sehen kannte, die ihre Mahlzeiten an den langen Tischen der Bedienstetenküche einnahmen, die sie jetzt verunsichert und zögernd ansahen. Kay schenkte jedem von ihnen einen Blick und vergaà sie.
Sie schwenkte ihre Aufmerksamkeit auf die beiden, die wichtig waren. Die Feinde. Der Teufel und sein Sohn. Dunkelrotes Haar wie getrocknetes Blut. WeiÃes Haar, schimmernd wie Katzenfell im Mondlicht. Augen wie flüssiges Silber und Augen wie flimmernde Hitze über schwarzem Lavagestein. Sie nickte ihnen zu, warnend.
» Bleibt, wo ihr seid « , sagte sie sanft. » Er wird euch nichts tun, wenn ihr euch ruhig verhaltet. «
Der Jüngere lachte auf und streckte die Hand aus, es war eine beinahe bittende Geste. » Kay « , sagte er.
» Das ist mein Name « , erwiderte sie überrascht. Sie hatte ihn abgestreift wie den Umhang, aber nun war er wieder bei ihr, sie nahm ihn auf und zog ihn über ihr Ich. Kay. Karolyn Devrillan. Kay, das Hausmädchen. Sie lächelte.
Der Dracyrlord reckte sich, spreizte die Beine, rammte sie förmlich in den felsigen Boden. Seine Hand mit der schweren Lederpeitsche zuckte nervös. » Geh zurück, Mädchen « , befahl er mit seiner zwingenden Glockenstimme. » Weg von dem Dracer. Warner, gehorche mir. Du kennst mich, ich bin dein Meister! « Die Peitsche zuckte, sauste mit einem Pfeifen auf den Kopf des Dracer zu. Der wich nicht zurück, sondern lieà seinen Kopf vorschnellen und biss den Peitschenstiel kurz vor der Hand des Dracyrlords durch. Sein Blick fixierte Lord Harrynkar, der wie erstarrt dastand, den Arm ausgestreckt, blankes Erstaunen im Gesicht, aber keine Spur von Angst.
» Gormydas « , flüsterte Kay. Etwas warnte sie, ein diffuses Gefühl des Unbehagens. Natürlich, dies war ihre Gelegenheit, den Dracyrmeister und seinen Sohn mit einem Atemzug, einem FlammenstoÃ, einem sonnenheiÃen Aufbrüllen vom Antlitz der Erde zu tilgen. RuÃige Schatten an einer Wand aus Stein, mehr würde nicht von ihnen bleiben. Aber etwas sagte ihr, dass es dazu nicht kommen würde. Gormydas würde leiden, vielleicht sogar sterben. Sie schob sich zwischen den Dracer und Lord Harrynkar und legte ihre Hand erneut über die weichen Nüstern. » Gormydas « , wiederholte sie sanft. » Geh zurück. «
Sie spürte die Muskeln in seinem Nacken, sie zitterten vor Anspannung. Dann löste sich ein tiefer, seufzender Atemzug aus den Ãffnungen an seinem Kopf, strich über
Weitere Kostenlose Bücher