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Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Titel: Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Missfeldt
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gutsherrschaftliche Gerichtsbarkeit abgeschafft und das Geschworenengericht eingeführt. Ein kurioses Abgabensystem, das überall im Land verschieden große und verschieden bunte Blüten trieb, wird ersetzt durch das preußische Steuerrecht, das auf dem Gedankengut des Reichsfreiherrn vom und zum Stein gründet. Andere längst fällige Reformen krempeln das Land Stück für Stück um. Damit endet auch das Landvogtwesen, das dem Landvogt Storm inzwischen lieb und teuer geworden ist. Er muss nun wählen: »Amtsrichter« oder »Landrat«? Er entscheidet sich selbstverständlich für den Amtsrichter, denn das Richteramt ist ihm durch die Exilzeit bestens vertraut. Sein Jahresgehalt beträgt 5000 Mark; am Ende kommt er aber doch auf 6000 Mark. Trotzdem muss er weitere 500–1000 Mark erwirtschaften, um seine Familie über die Runden zu bringen.
    Dies alles sieht nicht aus nach Willkürherrschaft und Vergewaltigung, Cäsarismus, Terrorismus und verfluchter Junkerbrut , wovon Storm so gern schreibt. Als ab 1. Oktober 1867 in Schleswig-Holstein die preußische Verfassung gilt, vereidigt er als dienstältester Richter im November im Namen des neuen Landesherrn und der neuen Verfassung alle Husumer Rechtsanwälte und Gerichtsbeamten; unter ihnen auch Vater Johann Casimir. Der alte Großvater fand übrigens, daß ich meine Sachen sehr schön gemacht hätte , schreibt Storm seinem Hans mit einer Prise Storm-Eitelkeit. Ein Angebot des Kreisgerichtsdirektors aus Schleswig, ihn dort am Kreisgericht als Rechtsanwalt zuzulassen, lehnt der frisch vereidigte Amtsrichter ab. Es ist auch, als werde er geschont, denn der Oberpräsident regierte zunächst noch mit Verordnungen und Verboten, mit eigenmächtiger Ernennung und Entlassung von Beamten, mit Zensur und Zuchthaus, Storm aber wurde davon nie persönlich betroffen. Er sieht allerdings, was im Lande passiert, und hört, was ihm von Verwandten und Freunden zugetragen wird.
    Im Januar 1868, Schleswig-Holstein ist inzwischen preußischer Besitz und der wahre preußische Cäsarismus liegt noch im Zukunftsdunkel, schreibt Storm an Brinkmann: Ich komme über die Vergewaltigung meines Heimatlandes nicht weg, nie mehr . Und Pietsch muss diese Beschwerde hören: So kommt doch jeder preußische Beamte, amtlich oder außeramtlich, mit der Miene eines kleinen persönlichen Eroberers und als müßte er uns die höhere Einsicht bringen .
    Da wird der Leser von heute hellhörig. Ähnlich lauteten auch die Beschwerden nach der Wiedervereinigung aus dem Osten Deutschlands, als die Gernegroß und Wichtigtuer aus dem Westen ihren Landsleuten in der ehemaligen DDR die Welt erklären, Sitte, Anstand und Versicherungen beibringen und Autos verkaufen wollten. Die oft im Osten gebrauchte Rede von den »Besserwessis« und ihrer »Siegerjustiz« hätte ebenso in Storms Rede während der preußischen Eroberungszeit hineingepasst.

Gesanglos und beklommen
    Schlechte Stimmung im Hause Storm ist nichts Ungewöhnliches. Storm kennt sich da aus, Constanze konnte davon ein Lied singen. Nun ist die Stimmung aber besonders schlecht. Sind etwa die Piefkes aus Preußen die Spielverderber, oder ist die herabsetzende Umstellung vom Landvogt auf den Amtsrichter schuld? Hat Constanzes Tod die Lage so verschlimmert? Sind die Familienumstände mit der Sorge um die Kinder so drückend? Fällt das Zusammenleben mit »Tante Do« alias »Stiefmütterchen« alias »Mama« so schwer? Sie hat jetzt den schwersten Packen zu tragen. Ehefrau und Geliebte, Zuhörerin und Ratgeberin für den Dichter, Tante Do und Mutter für die Kinder. Schwere Zeit mit drückender Last für Doris; aber auch für Storm.
    Alles zusammen mag so schwer wiegen, dass er Pietsch mitteilen muss: Nein, ich schreibe nicht mehr; meine bescheidene Muse schläft unten in der Gruft auf Constanzens Sarg einen festen Schlaf . In diesem Sinne öffnet er sich auch brieflich bei Klaus Groth: Ich aber bin gesanglos und beklommen . Genau so auch an Fontane noch zehn Monate später. Storm zitiert hier nicht ganz treffend sein Vorbild Heine: Gesanglos war ich und beklommen / So lange Zeit – nun dicht‘ ich wieder!, heißt es in den ersten beiden Versen der ersten Strophe.
    Storms ungenaues Zitat gibt auch seine derzeitige Lage ungenau wieder. Schon neun Monate nach der Hochzeit in Hattstedt – unwillkürlich denkt man an die neun Monate einer Schwangerschaft – allen Widrigkeiten zum Trotz, regt sich übrigens leise die Produktion wieder bei mir, schreibt er an Freund

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