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Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Titel: Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Missfeldt
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Lebenskraft, die Sohn Theodor Bewunderung und Dankbarkeit abverlangen. Diese Zeit lässt der Dichter wiederauferstehen, und es ist gut möglich, dass er mit seinem »Vetter Christian« auch seinem Vater huldigt.
    Er stößt eine Tür weit ins 18. Jahrhundert auf, die Tür im Hause Vetter Christians, eines wohlhabenden Erbens, Studierten und Junggesellen. In diesen Vetter versetzt sich der Dichter, so wie er sich schon in den Vetter von der »Halligfahrt« hineinversetzt hat. Man merkt ihm die Freude und Lust an, die Fäden dieser Geschichte zu spinnen, und es gelingt ihm trefflich. Ein Fest, das er den Vetter sorgfältig planen und feiern lässt, zeigt, wie sicher und kenntnisreich sich der Autor auf dem Boden des 18. Jahrhunderts bewegt. Man meint, einen Zipfel von Karen Blixens »Babettes Fest«, die humorvolle, ebenso liebevoll erzählte Geschichte eines Festes in einem einsamen Ort an Dänemarks Nordseedünenküste, zu erhaschen. Ob Karen Blixen Storms Novelle gekannt hat? Das ist sehr wahrscheinlich, denn der »Vetter« erschien, übersetzt ins Dänische von Johannes Magnussen, zusammen mit vier weiteren Stormnovellen 1885 in Kopenhagen.
    Der Vetter findet am Ende noch mit der jüngeren seiner beiden Dienerinnen das Glück, und der Hausfrieden wird, trotz der Eifersucht der Älteren, gewahrt. Das Happy End könnte nach schlechter »Gartenlaube«-Literatur klingen, aber dieser Text rutscht nie ins Abgedroschene und in Gefühlsduselei. Unvergleichliche Poesie, wie sie nur Storm schreibt, trägt den Humor und die Ironie dieser Erzählung, sie ist über jede Frage erhaben; sie ist und bleibt ein Edelstein, ein Stück unsterblicher Literatur.

Nun aber »Viola Tricolor«!
    Wie die vorige, ist auch sie eine Novelle aus der Zeit des Produktionsfiebers Anfang der siebziger Jahre. Zunächst vermisst man die Leichtigkeit des Erzählens, die Heiterkeit, die Storm im »Vetter Christian« so eindringlich vorgeführt hat. Man begreift dann aber schnell, warum Storm seine Novelle nicht von Humor und Ironie regiert wissen will. Er greift mit dem Stoff wieder zurück ins eigene Leben, allerdings ins unmittelbar vergangene, er behandelt die schwierige erste Zeit seiner zweiten Ehe, die Zeit mit Doris Jensen. Doris muss vor der von Storm wie eine Heilige angebeteten toten Constanze bestehen.
    Nicht nur Haus und Hof in der Wasserreihe als zentraler Ort des Novellengeschehens tauchen auf, sondern ebenso wichtige Ereignisse aus den ersten Ehejahren mit Doris; sie erscheinen kaum verfremdet: Constanzes Tod, den Storm seinem Freund Pietsch fast wörtlich so beschrieben hat, wie er ihn in der Novelle schildert, Constanzes Bestattung eines frühen Maimorgens. Auch die Auseinandersetzung, die Storm mit Doris über die Frage führt: Sollen die Kinder »Mama« oder »Tante« zu ihr sagen, spielt eine wichtige Rolle. Schließlich die Geburt des ersten und einzigen gemeinsamen Kindes, das am Ende der Novelle noch keinen Namen hat.
    Es ist Rudolf, ein Professor, der nach dem Tod seiner verstorbenen Agnes die junge Ines in sein großes Haus führt. Eine Dienerin und zwei Mägde stehen ihr dort zur Seite. Man erkennt deutlich Storms Haus. Das Porträt der verstorbenen Agnes hat Rudolf aufgehängt, wie der Dichter das Bild seiner verstorbenen Constanze an die Wand hängte. Rudolf hat eine Tochter aus erster Ehe, die zehnjährige Nesi, sie erlebt Einzug und Einleben der Stiefmutter und reagiert mit ihrem Kinderseelenleben auf die Nervenproben des ehelichen Zueinanderfindens von Rudolf und Ines. Das schildert Storm mit gewohnter Meisterschaft, eindringlich und einfühlsam. Nun erwartet Ines ein Kind, das Hoffnung verheißt, und Rudolf beschwört die Zukunft mit einem Vers aus Ludwig Uhlands »Frühlingsglaube«: Nun muß sich Alles, Alles wenden .
    Es liegt so etwas wie schwerer Kopfschmerz in der Prosa von »Viola Tricolor«, eine gestaltete und gewollte Verbiesterung verdunkelt den Text und taucht ihn in einen Zauber. Und doch befasst er sich, wie jede andre Kunst, mit der Darstellung des Lebens selbst . Es ist allerdings die Darstellung des Lebens ausschließlich aus der Sicht des Rudolf, dessen Blick von der höheren gesellschaftlichen Warte wiederum keine andere als die des Dichters ist. Der schildert die innere Entwicklung und äußere Entfaltung der Familienlage, nachdem Rudolf seine junge Frau heimgeführt hat. In diesem Geschehen folgen wir aber ausschließlich dem seelischen Veränderungsprozess der Ines, die dem Druck ihres Ehegatten

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