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Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Titel: Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Missfeldt
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Stück für Stück nachgeben muss.
    Rudolf, sein Haus, sein Leben bleiben unberührt. Geduld und liebevolle Zuwendung scheinen seine hervorstechenden Eigenschaften zu sein; das täuscht, denn sie sind nur taktische Manöver des Abwartens, sie sind raffinierte Reden aus dem Rhetorik-Vorrat des Dichters. Von Lernen und Läuterung auf seiner Seite keine Spur. Dieser Mann lässt sich sein Bild von Leben und Liebe, das er sich auch mit dem Bild seiner verstorbenen Agnes erschaffen hat, nicht zerstören. Ines dagegen kommt am Ende nicht nur als Veränderte heraus, sondern als Unterworfene, die sich den Geboten ihres Mannes fügt. Die Familienangelegenheit des Hauses Rudolf endet mit der bedingungslosen Kapitulation der Ehefrau Ines.
    Ähnliches hat der Leser schon in der Heiligenstadt-Novelle »Veronica« erfahren, die Heldin kniet vor ihrem Mann nieder und küsst seine Hand. In »Viola Tricolor« kommt Storm zu einem entsprechenden Schluss: Ines schlang beide Hände um seinen Nacken – »schüttle mich nicht ab, Rudolf! Versuch es nicht; ich lasse doch nicht von dir« . Das ist ganz nach Rudolfs Geschmack. Es ist auch Storms Geschmack, der in einem Brief an Ernst lustig gemeint klingt, aber damit nichts von seinem Gewicht verliert: Die Frau braucht das richtige Bewußtsein von der Hausherrlichkeit des Mannes. Vater kann alles schelten, selbst Mama . Selbstverständlich ist Rudolf großzügig. So belohnt er Ines‘ Unterwerfung mit der Öffnung des »Gartens der Vergangenheit«, der bisher für sie tabu war. Aber wie wird der Garten geöffnet? Nur mit Rudolfs Kraft: Die Männerhand erzwang den vollen Eingang .
    Der Leser möge, so lautet die Dichter-Botschaft, in der Gestalt des Rudolf den Helden sehen, der die Schicksalsfäden spinnt und Herr über den Gang des Lebens ist. Am Ende steht er da als Zauberer, der seinem Kind noch den Namen verweigert; er wird ihn herbeizaubern. Ines ist in seinem Zauber gefangen. Sie war schon als Dreizehnjährige verzaubert, ich hatte mich ganz in das Kind, in den kleinen Christus verliebt, sagt sie zu Rudolf. »Verliebt« ist in diesem Zusammenhang ein ungewöhnliches Wort. Erinnern wir uns? Doris Jensen war dreizehn Jahre alt, als sie Storm mit ihrem Mädchenzauber ins Auge fiel und anfing, den Dichter anzubeten. Hier betet nun die verzauberte Ines ihren Herrn und Meister an. Rudolfs Zauber hat gewirkt.
    Richard heißt der Gelehrte in der Novelle »Waldwinkel«; auch diese Arbeit entsteht in der Zeit des Produktionsfiebers von 1874. Storm, der Vielschreiber, fürchtet Schreibhemmung und Produktionsleere; er sehnt sich nach der Vielschreiberei, die ihm eines schönen Tages das einmalig dastehende Kunstwerk bescheren soll, den großen Wurf. Er weiß nichts von Muße, von ihrer belebenden, antreibenden, aufklärenden Kraft.
    Kaum ist eine Arbeit zu Ende gebracht, schon ist die nächste angefangen oder gar in einem fortgeschrittenen Stadium. Er legt als gewiefter Jurist seinen Manuskripten gleich Vertrag, Honorarforderung und Zahlungsbedingungen bei. »Waldwinkel« einschließlich der »Bedingungen für den Abdruck«, geht an Julius Rodenberg, den Redakteur der neuen Zeitschrift: die »Deutsche Rundschau«. Sie erscheint im Verlag der Gebrüder Paetel. Dort wird sie im Oktober 1874 abgedruckt, gleich in der ersten Nummer dieser bis 1964 bestehenden traditionsreichen Literaturzeitschrift.
    »Waldwinkel« wird unter Storms fliegender Feder etwa doppelt so lang wie »Viola Tricolor«, für die er 145 Reichstaler bei Verleger Westermann verlangte. Diese Novelle ist etwas theuer , schrieb der Redakteur Dr. Glaser an Westermann. Eine der besten, die wir je hatten, meinte er und überzeugte den Verleger. Damals nicht anders als heute: Nicht die Güte eines Manuskripts entscheidet über die Höhe des Honorars, sondern allein seine Länge, multipliziert mit einem Faktor, der die literarische Größe des Autors deutet. Storm kennt sich aus im Literaturbetrieb seiner Zeit und beklagt die Zustände, die ihn gequält hatten, wenn ich erfuhr, wie bedeutend z. B. Auerbach und andere Schriftsteller von Tagesruf für ihre höchst mäßigen Sachen honoriert wurden .
    Rodenberg und Storm haben schon miteinander zu tun gehabt. Dass Storm vor zwanzig Jahren (1854) die »Lieder von Julius Rodenberg« im »Literaturblatt des deutschen Kunstblattes« verrissen hatte, tut der Zusammenarbeit nicht weh. Der Redakteur braucht Novellen für seine »Deutsche Rundschau« und Storms Novellen gefallen ihm, auch

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