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Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Titel: Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Missfeldt
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begleitet Kugler über dessen frühen Tod hinaus.
    Aus seinen Briefen an Storm vernehmen wir durchaus nicht Hilflosigkeit und Schweigen, sondern wache Angriffslust und entschlossene Urteilsbereitschaft. Schließlich ist Storm als Kollege auch Dichter-Rivale. Das Urteil geht Kugler frei von der Leber weg. Nicht nur kritisiert er radikal Storms Novelle »Angelika«, er unterstellt Storm auch Weichheit , und Baron Hugo von Blomberg alias »Maler Müller« sekundiert mit seiner Meinung über Storms Gedichte: S ehr hübsch, aber weichlich . »Weich«, so sehen seine Berliner Freunde ihn, und sie meinen es sicherlich nicht im Sinne von »empfindsam«, sondern hier wird gesprochen aus der Sicht des Preußen, der Soldatisches und Härte am Kollegen aus Schleswig-Holstein vermisst.
    Der preußische Offizier geht um in den Köpfen der Rüthlioten , wie Kugler seine Vereinskollegen einmal nennt. Er und die Seinen sehen ihr Preußen an der Schwelle zur Weltmacht, da stehen auch sie, die treuen Diener, und dichten auch so, da sind sie auf Augenhöhe mit dem Rest der Welt und holen ihn in ihre Dichtung. Die Länder deutscher Sehnsucht: Griechenland, Italien; Land deutschen Neides: England; Land deutscher Größe: Preußen, das Fontane mit »Männer und Helden« bedichtete. Storm schickte er ein Exemplar dieser »Acht Preußenlieder« von 1850. Storm, dem mehr poetisch als politisch gesinnten Mann von der Nordseeküste, ist diese Sicht der Dinge lebenslang fremd. Er findet seine Stoffe vor der Haustür, auch hinter der Haustür, im eigenen Haus.
    Selbstverständlich beherrscht Kugler Latein, dessen auch Storm sich in all seiner Korrespondenz bedient. Kugler mischt zusätzlich französische Brocken in seine Briefe, nous autres und sans façon, und schließt einmal wie der preußische Gardemajor an seinen Gardeleutnant: Enfin: bleiben Sie tapfer und legen Sie Ihrer Frau Constanze unsere ehrerbietigsten Grüße zu Füßen . Der Kunstgeschichtler Kugler beherrscht selbstverständlich auch Italienisch und schreibt beiläufig Gioventu eterna statt »ewige Jugend«, und weltläufig schließt er Weihnachten 1855 auf Englisch mit And so for ever.
    Als Meister des Vereinsjargons, dem auch fließend der Kalauer über die Lippen kommt, im Offizierskasino gern zum besten gegeben, gern gehört und gern belacht, erweist sich der Kammergerichtsrat Wilhelm von Merckel alias Immermann (1803–1861). Er sagt ein Rütli-Treffen bei Storm in Potsdam ab mit dem wehmüthigen Bekenntniß, daß Immer Mann und Immer Frau dergestalt mit Niesen und unartikulierten Äusserungen der Sprechmaschine occupirt sind, daß an eine sebastopolitanische Einschwimmungs-Expedition gen Krim=Potsdam nicht zu denken ist .
    Verhalten ist das Echo auf Storms Einladungen. Was er in seinen Briefen antwortete, wissen wir nicht. Ein als »Circulair« an seine Rütli-Freunde Kugler und Merckel geschriebener Einladungsbrief illustriert, dass auch er sich des Rütli-Jargons bedient. Zurückhaltung und Missbehagen hört man auch heraus, ebenfalls die Sorge, man würde seiner Einladung nicht Folge leisten. Er unterschreibt dann tapfer mit Hoffend und harrend der Tannhuser . Vergisst Storm das »ä« oder will er einen Scherz machen? Im übrigen muss man vermuten, dass Storm in seinen Briefen an Kugler so reagierte, wie er es immer in seinen Briefen tat: echt und leidenschaftlich, nachgiebig und unerbittlich, einfühlsam und rhetorisch geschickt.
    Kugler entschuldigt sich mit Miserabilität oder mit Ziehen über Nacken und Rücken, beklagt seine hämorrhoiden Affectionen , und man weiß nicht, ob er seine Unpässlichkeiten benutzt, um nicht bei den Storms sein zu müssen. Es geht halt nit, leider gar nit , schreibt er in Volkslieddeutsch. Vielleicht geht es nicht, weil es bei den Storms nicht so preußisch korrekt und sauber aufgeräumt zugeht. Fontane singt davon später sein Lied: Eines Abends saßen wir munter zu Tisch, und die Bowle, die den Schluß machen sollte, war eben aufgetragen, als ich mit einem Male wahrnahm, daß sich unser Freund Merckel nicht nur verfärbte, sondern auch ziemlich erregt unter dem Tisch recherchierte. Richtig, da hockte noch der Übeltäter: einer der kleineren Stormschen Söhne, der sich heimlich unter das Tischtuch verkrochen und hier unseren kleinen Kammergerichtsrat, vor dem wir alle einen heillosen Respekt hatten, in die Wade gebissen hatte. Storm missbilligte diesen Akt, hielt seine Mißbilligung aber doch in ganz eigentümlich gemäßigten Grenzen,

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