Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)
übrigen weiß ich sehr wohl, daß ich kein Meister der Liebesgeschichte bin ; verstimmt fährt er in aller Schärfe fort: Daß ich aber den Stormschen »Bibber« nicht habe, das ist mein Stolz und meine Freude; Storm ist ein kränkliches Männchen, und ich bin gesund trotz meiner äußren Kränklichkeiten .
Über Geschmack lässt sich streiten. Was Fontane an Storms Gedichten mit »Erotika« bezeichnet und so ein Zuviel kritisiert, sind Verse wie Du willst es nicht mit Worten sagen , oder Die holde Scham ist nur empfangen / Daß sie in Liebe sterben soll. Dieses Zuviel ist aus der Fontane-Sicht die erotische Manier eines Poeten, den er zur Fraktion der Weihekußmonopolisten zählt. Er schieße erstens über den guten Geschmack hinaus und sehe sich zweitens als Generalpächter der großen Liebesweltdomäne , der beim Thema Liebe immer den ersten Grundgedanken und das letzte Wort haben will.
Schließlich aber hat Fontane seinen Lesern Storm auch als Liebling der Frauen vorgestellt. Sehr wahrscheinlich berührt die erotische Ausstrahlung der Storm-Gedichte das »schwache Geschlecht« schneller und unmittelbarer als das »starke«. Schon 1853, gleich zu Anfang der Freundschaft, stellt Fontane in einer Besprechung klar: Er ist vor allem ein erotischer Dichter und überflügelt auf diesem Gebiete alle neueren deutschen Dichter, die wir kennen .
Dass Storm in seinen Liebesgedichten – schon die an Bertha von Buchan gerichteten geben davon Zeugnis – weit, tief und leidenschaftlich ausholt und nicht um den heißen Brei herumredet, begründet ihre Glaubwürdigkeit, erzeugt ihre Wirkung. Auch der erste Vers des fünf Strophen langen Gedichtes »Du willst es nicht in Worten sagen« sagt, was gemeint ist.
Du willst es nicht in Worten sagen;
Doch legst du’s brennend Mund auf Mund,
Und deiner Pulse tiefes Schlagen
Tut liebliches Geheimnis kund.
Du fliehst vor mir, du scheue Taube,
Und drückst dich fest an meine Brust;
Du bist der Liebe schon zum Raube,
Und bist dir kaum des Worts bewusst.
Du biegst den schlanken Leib mir ferne,
Indes dein roter Mund mich küsst;
Behalten möchtest du dich gerne,
Da du doch ganz verloren bist.
Du fühlst, wir können nicht verzichten;
Warum zu geben scheust du noch?
Du musst die ganze Schuld entrichten,
Du musst, gewiss, du musst es doch.
In Sehnen halb und halb in Bangen,
Am Ende rinnt die Schale voll;
Die holde Scham ist nur empfangen,
Dass sie in Liebe sterben soll.
Wenn auch in der Form gebändigt, so ist das Gedicht doch ganz Liebesakt, verstärkt durch die negative Wendung, die gleichzeitig die Scham des angeredeten »Du« offenbart. Oder sie etwa verrät? Alles, auch der Verrat ist im Gedicht. Es ist eben ein Unterschied, ob etwas in der Welt, in der es existiert, belassen wird, oder ob ein Dichter es veredelt und in den Hochstand der Poesie erhebt.
Storms »Erotika« kommen indes bei seinen Leserinnen nicht nur gut an. Aus einem kurzen Briefwechsel Fontanes mit der Husumerin Hedwig Büchting, sechs Jahre nach Storms Tod, wissen wir darüber mehr. Fontane schreibt hier von einer Freundin aus der Zeit des Rütli, die auch Storms Freundin gewesen sei; sie habe auf den Dichter von »Zur Nacht« reagiert mit Alter Ekel .
Zur Nacht
Vorbei der Tag! Nun laß mich unverstellt
Genießen dieser Stunde voller Frieden!
Nun sind wir unser; von der frechen Welt
Hat endlich uns die heilige Nacht geschieden.
Laß einmal noch, eh’ sich dein Auge schließt,
Der Liebe Strahl sich rückhaltlos entzünden;
Noch einmal, eh’ im Traum sie sich vergisst,
Mich deiner Stimme lieben Laut empfinden!
Was gibt es mehr! Der stille Knabe winkt
Zu seinem Strande lockender und lieber;
Und wie die Brust dir atmend schwellt und sinkt,
Trägt uns des Schlummers Welle sanft hinüber.
Was mag die Freundin im Kopf gehabt haben, als sie über den Autor alter Ekel sagte? Sie kennt die Verse aus dem Band »Sommergeschichten und Lieder« (1851), die Storm pikanterweise seiner Frau Constanze gewidmet hat, und aus dem Band »Gedichte«, der 1852 in Kiel erschienen ist.
Fontane empfindet solche Verse als geradezu lüstern, wie er der Storm-Verehrerin aus Husum schreibt. »Lüstern« würde heißen: Storms Kunst reicht nicht aus, um das erotische Potential dieser Verse aufzufangen und sie damit zu überhöhen? Das Kunstvollendete stellt Fontane allerdings nicht in Frage, er kann ihm seine fachmännische Bewunderung nicht versagen, aber als simpler Mensch nehme er Anstoß daran. Nicht hinnehmbar für ihn, daß
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