Düsterbruch - Almstädt, E: Düsterbruch
hatte. Und das erklärte vielleicht auch, warum ihr Kollege manchmal so gereizt auf die Tatsache reagierte, dass sie jetzt Mutter war.
»Er hat einer Single-Freundin zum Wunschkind verholfen, bevor es zu spät für sie war«, erklärte er. Die Worte klangen wie auswendig gelernt.
»Hast du ein Problem damit?«
»War vor meiner Zeit«, knurrte Broders. »Was mich nervt, ist, dass er in letzter Zeit dauernd was mit seinem Kind unternehmen will.«
»Du fühlst dich zurückgesetzt.«
»Was mir nicht passt, ist dieses Gedöns, das ständig darum gemacht wird. Früher war es normal, Kinder zu haben. Man hatte sie einfach – basta. Es wurde nicht laufend darüber gequatscht.«
»Wenn ich mich recht erinnere, bringst du das Thema immer wieder auf den Tisch.«
»Wenn du nicht hören willst, was ich zu sagen habe, kannst du ja gehen. Wir sind nicht im Dienst«, erwiderte Broders. Die Art, wie er die Vokale dehnte, ließ darauf schließen, dass auch er weit mehr getrunken hatte, als einer normalen Unterhaltung zuträglich war. Seine Augen sahen blutunterlaufen aus, und seine Nase leuchtete rot. Ja, es war klüger, das hier jetzt zu beenden. Morgen erinnerte sich Broders wahrscheinlich nicht einmal mehr an diese Unterhaltung.
Aber verdammt, es war ihr freier Abend! Pia hatte keine Lust, jetzt schon nach Hause zu gehen. »Du weißt, dass ich deine Lebensweisheiten um keinen Preis der Welt verpassen möchte«, sagte sie und schenkte sich selbst Wein nach.
»Das hast du schön gesagt. Darauf trinken wir. Prost, Pia!«
Beim letzten Schluck merkte sie, dass dieses Glas Wein das eine Glas zu viel gewesen war. Der Stehtisch, um den sie herumstanden, schien ein wenig zu schwanken. Sie griff nach der Tischkante. Ein ehemaliger Kollege, den sie noch von der Polizeihochschule kannte, grinste sie an. Sie wusste beim besten Willen nicht mehr, wie er hieß. Was war denn in sie gefahren, dass sie bei der ersten Gelegenheit seit … ja, seit über einem Jahr über die Stränge schlug? Waren jetzt zweieinhalb Gläser Wein schon ein Besäufnis? Vertrug sie gar nichts mehr?
Pia sah sich um. Gabler stand an der Bar und unterhielt sich mit ein paar älteren Kollegen. Gerlach war von drei Frauen umringt, die sie noch nie gesehen hatte. An ihrem eigenen Tisch war eine Debatte um Strafprozessrecht entbrannt. Die meisten tranken Cola oder Mineralwasser. Broders starrte missmutig vor sich hin.
Entschlossen schob Pia ihr leeres Glas ein Stück von sich weg. Frische Luft würde helfen. Musste sie noch was mitnehmen? Eine Jacke oder eine Tasche? Nein, sie war so gekommen, wie sie war. Ihr Auto stand auf dem Parkplatz an der Kanalstraße und würde morgen auch noch dort stehen.
Als sie vor die Tür trat, traf die kalte Luft sie wie ein Schlag ins Gesicht. Sie atmete tief durch. Schon besser. Wenn sie zu Fuß ging, würde sie bei ihrer Ankunft zu Hause wieder nüchtern sein. Schade eigentlich. Im Schatten der hoch aufragenden Mauer neben der Eingangstür standen ein paar Leute und unterhielten sich leise. Die Raucher waren inzwischen so stark in der Minderheit, dass sie einem fast leidtun konnten. Pia stieg konzentriert die Stufen hinauf.
»Du fährst doch jetzt nicht mehr Auto, Pia?«, hörte sie eine vertraute Stimme fragen.
22. Kapitel
T izia senkte den Blick und lächelte in sich hinein. Es war alles viel besser gekommen. Dass sie ihren Flug verpasst hatte, war ihr inzwischen egal. Lindsay wartete seit fünfzehn Jahren auf sie, da spielten ein paar Stunden oder Tage auch keine Rolle mehr.
Ihr Gesicht glühte. So hatte es sich auch vor dem lächerlichen Gesichtsbräuner angefühlt, den Carola sich im letzten Winter als Frustkauf zugelegt hatte. Hoffentlich sah man das in dem schummrigen Licht nicht. Hoffentlich sah er das nicht!
Oxanas Freundin – inzwischen wusste Tizia, dass sie Nadja hieß – hatte sie mit nach Hamburg genommen. Wegen des dichten Verkehrs und wohl auch, weil Nadja sich trotz des im Ford fest installieren Navigationsgerätes zweimal verfahren hatte, waren sie zu spät am Flughafen angekommen. Als klar gewesen war, dass Tizia ihre Maschine nicht mehr rechtzeitig würde erreichen können, hatte Nadja sie zum Essen eingeladen. Nicht Fastfood oder so – in ein richtiges Restaurant. Ihr Vater und Carola gönnten sich so was nur, wenn einer von ihnen Geburtstag hatte. Und Tizia bezweifelte, dass sie so einen Laden wie das Tarantella überhaupt schon mal von innen gesehen hatten.
Der Laden war voll. Lauter gut angezogene,
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