Dunkler Wahn
wieder gemordet, und das brachte das Fass für ihn endgültig zum Überlaufen. Er hielt es nicht mehr aus. Aber Tatjana wehrte sich. Sie wusste, wenn man Thanner einer Therapie unterzog, hätte das ihr Ende bedeutet. Und selbst wenn sie dagegen resistent gewesen wäre, hätte sie den Rest ihres Daseins in einer psychiatrischen Klinik verbringen müssen. Also wird sie beschlossen haben, dass keiner von ihnen überleben sollte. Und damit wirklich nichts von ihnen zurückblieb, verbrannte sie den gemeinsamen Körper.«
Stark legte den Kopf in den Nacken und sog die kühle Abendluft ein. Dann sah er Jan aus Augen an, die große Ratlosigkeit verrieten. »Mal ehrlich, Doktor, haben Sie so etwas Verrücktes schon einmal erlebt?«
»Nein«, sagte Jan. »Ein schlauer Mann hat einmal gesagt:
Das Leben ist unendlich viel seltsamer als irgendetwas, das der menschliche Geist erfinden könnte. Dem kann ich nur zustimmen.«
»Und wer war dieser schlaue Mann? Freud?«
»Nein, Arthur Conan Doyle. Haben Sie nie Sherlock Holmes gelesen?«
»Natürlich«, sagte Stark und lächelte. »Deswegen bin ich doch Polizist geworden, Herr Psychiater. Tja, auf jeden Fall ist es jetzt vorbei.«
»Ich weiß nicht«, sagte Jan und sah auf seine Schuhe. Die Feuchtigkeit hatte Ränder auf dem braunen Leder hinterlassen. »Irgendetwas passt da noch nicht. Jana sprach von einem Plan, aber bisher konnte ich keinen Plan in diesem ganzen Verwirrspiel erkennen.«
Stark sah ihn verdutzt an. »Was meinen Sie damit?«
»Sie muss etwas vorgehabt haben. Vielleicht hat sie es auch noch in die Wege geleitet, ehe sie starb.« Jan hob den Kopf und sah den Polizisten eindringlich an. »Stark, hören Sie, ich habe es bisher zu verdrängen versucht, aber mir lässt der Gedanke keine Ruhe mehr, dass dieser Plan etwas mit Carlas Verschwinden zu tun hat. Warum sonst haben wir immer noch keinen Hinweis, wo sie sich aufhält? Wenn sie …« Jan stockte. Er wollte und konnte es nicht aussprechen. »Ich meine, Ihre Kollegen hätten sie in dem Fall doch schon längst gefunden, oder?«
Stark legte ihm eine Hand auf die Schulter und bemühte sich um einen ermutigenden Blick, der jedoch nicht sehr überzeugend ausfiel. Offenbar musste er selbst schon diesen Gedanken gehabt haben, mutmaßte Jan.
»Dr. Forstner, wir tun unser Menschenmöglichstes, um … den Aufenthaltsort von Frau Weller zu ermitteln. Sie sollten sich jetzt erst einmal ausruhen. Morgen wissen wir vielleicht schon mehr.«
Damit streckte er sich, schob sich die letzte Winston aus seinem Päckchen in den Mund und ging zurück zu seinem Wagen.
»Stark?«, rief Jan ihm nach.
Der Polizist sah sich zu ihm um, wobei er mit einer Hand seine Jacke nach einem Feuerzeug durchsuchte.
»Danke, dass Sie mir von Anfang an geglaubt haben«, sagte Jan.
»O nein, ich muss Ihnen danken«, entgegnete Stark. »Ihre verdammte Theorie wird mir ein paar heftige Alpträume bescheren, fürchte ich.«
Der Polizist schickte eine letzte blaue Rauchwolke zum sternenklaren Abendhimmel hinauf und stieg in seinen Wagen.
Jan schaute ihm nach, dann schloss er die Haustür, lehnte sich dagegen und rieb sich die pochenden Schläfen. Er fühlte sich restlos ausgelaugt. Die Ereignisse der vergangenen Stunden und seine Sorge um Carla hatten ihm die letzten Kraftreserven geraubt. Stark hatte Recht, er musste dringend ein paar Stunden schlafen. Mehr konnte er im Moment nicht tun.
Er sah zum Telefon. Wenn Carla sich nur endlich melden würde. Und sei es nur, um ihm zu sagen, dass sie ihre Beziehung beenden wollte, um irgendwo ganz von vorn anzufangen. Hauptsache, er wusste, dass es ihr gutging. Doch seine Hoffnung auf ein Lebenszeichen von ihr schwand immer mehr und machte einer düsteren Ahnung Platz, die sich nicht aus seinem Kopf vertreiben ließ.
Das Läuten der Türglocke ließ ihn zusammenfahren. War Stark noch einmal zurückgekommen? Oder war es vielleicht Carla?
Jan öffnete, und der Schlag traf ihn so unvermittelt, dass ihm keine Zeit blieb, auszuweichen. Er fiel rücklings zu
Boden, und noch ehe er wusste, wie ihm geschah, saß der Angreifer auf ihm.
Die Joggerin! , schoss es Jan durch den Kopf, dann sah er das zu einem Grinsen verzerrte Gesicht von Felix Thanner über sich. Gleichzeitig spürte er einen Einstich im Hals.
Jan wollte sich wehren, doch es war bereits zu spät. Ein heißes Gefühl breitete sich über Hals und Schultern aus, und alles um ihn herum begann zu verschwimmen.
»Tut mir leid, mein Schatz«, hörte er
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