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Ecce Homo

Ecce Homo

Titel: Ecce Homo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Wilhelm Nietzsche , Stephen van Doren
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Musikern voraus hat; zuletzt noch Alles, was jenseits der Alpen gewachsen ist diesseits... Ich würde Rossini nicht zu missen wissen, noch weniger meinen Süden in der Musik, die Musik meines Venediger maëstro Pietro Gasti. Und wenn ich jenseits der Alpen sage, sage ich eigentlich nur Venedig. Wenn ich ein andres Wort für Musik suche, so finde ich immer nur das Wort Venedig. Ich weiss keinen Unterschied zwischen Thränen und Musik zu machen, ich weiss das Glück, den Süden nicht ohne Schauder von Furchtsamkeit zu denken.
    An der Brücke stand
    jüngst ich in brauner Nacht.
    Fernher kam Gesang:
    goldener Tropfen quoll's
    über die zitternde Fläche weg.
    Gondeln, Lichter, Musik
    trunken schwamm's in die Dämmrung hinaus ...
    Meine Seele, ein Saitenspiel,
    sang sich, unsichtbar berührt,
    heimlich ein Gondellied dazu,
    zitternd vor bunter Seligkeit.
    - Hörte Jemand ihr zu? ...
    8.
    In Alledem in der Wahl von Nahrung, von Ort und Klima, von Erholung gebietet ein Instinkt der Selbsterhaltung, der sich als Instinkt der Selbstvertheidigung am unzweideutigsten ausspricht. Vieles nicht sehn, nicht hören, nicht an sich herankommen lassen erste Klugheit, erster Beweis dafür, dass man kein Zufall, sondern eine Necessität ist. Das gangbare Wort für diesen Selbstvertheidigungs-Instinkt ist Geschmack. Sein Imperativ befiehlt nicht nur Nein zu sagen, wo das Ja eine "Selbstlosigkeit" sein würde, sondern auch sowenig als möglich Nein zu sagen. Sich trennen, sich abscheiden von dem, wo immer und immer wieder das Nein nöthig werden würde. Die Vernunft darin ist, dass Defensiv-Ausgaben, selbst noch so kleine, zur Regel, zur Gewohnheit werdend, eine ausserordentliche und vollkommen überflüssige Verarmung bedingen. Unsre grossen Ausgaben sind die häufigsten kleinen. Das Abwehren, das Nicht-heran-kommen-lassen ist eine Ausgabe man täusche sich hierüber nicht -, eine zu negativen Zwecken verschwendete Kraft. Man kann, bloss in der beständigen Noth der Abwehr, schwach genug werden, um sich nicht mehr wehren zu können. Gesetzt, ich trete aus meinem Haus heraus und fände, statt des stillen und aristokratischen Turin, die deutsche Kleinstadt: mein Instinkt würde sich zu sperren haben, um Alles das zurückzudrängen, was aus dieser plattgedrückten und feigen Welt auf ihn eindringt. Oder ich fände die deutsche Grossstadt, dies gebaute Laster, wo nichts wächst, wo jedwedes Ding, Gutes und Schlimmes, eingeschleppt ist. Müsste ich nicht darüber zum Igel werden? Aber Stacheln zu haben ist eine Vergeudung, ein doppelter Luxus sogar, wenn es freisteht, keine Stacheln zu haben, sondern offne Hände ...
    Eine andre Klugheit und Selbstvertheidigung besteht darin, dass man so selten als möglich reagirt und dass man sich Lagen und Bedingungen entzieht, wo man verurtheilt wäre, seine "Freiheit", seine Initiative gleichsam auszuhängen und ein blosses Reagens zu werden. Ich nehme als Gleichniss den Verkehr mit Büchern. Der Gelehrte, der im Grunde nur noch Bücher "wälzt" der Philologe mit mässigem Ansatz des Tags ungefähr 200 verliert zuletzt ganz und gar das Vermögen, von sich aus zu denken. Wälzt er nicht, so denkt er nicht. Er antwortet auf einen Reiz (- einen gelesenen Gedanken), wenn er denkt, er reagirt zuletzt bloss noch. Der Gelehrte giebt seine ganze Kraft im Ja und Neinsagen, in der Kritik von bereits Gedachtem ab, er selber denkt nicht mehr ... Der Instinkt der Selbstvertheidigung ist bei ihm mürbe geworden; im andren Falle würde er sich gegen Bücher wehren. Der Gelehrte ein décadent. Das habe ich mit Augen gesehn: begabte, reich und frei angelegte Naturen schon in den dreissiger Jahren "zu Schanden gelesen", bloss noch Streichhölzer, die man reiben muss, damit sie Funken "Gedanken" geben. Frühmorgens beim Anbruch des Tags, in aller Frische, in der Morgenröthe seiner Kraft, ein Buch lesen das nenne ich lasterhaft! -
    9.
    An dieser Stelle ist nicht mehr zu umgehn die eigentliche Antwort auf die Frage, wie man wird, was man ist, zu geben. Und damit berühre ich das Meisterstück in der Kunst der Selbsterhaltung der Selbstsucht ... Angenommen nämlich, dass die Aufgabe, die Bestimmung, das Schicksal der Aufgabe über ein durchschnittliches Maass bedeutend hinausliegt, so würde keine Gefahr grösser als sich selbst mit dieser Aufgabe zu Gesicht zu bekommen. Dass man wird, was man ist, setzt voraus, dass man nicht im Entferntesten ahnt, was man ist. Aus diesem Gesichtspunkte haben selbst die Fehlgriffe des

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