Echo Einer Winternacht
wäre, dass sie ein uneheliches Kind hatte. Von einem unschuldigen Opfer wäre sie abgestiegen zu einem Mädchen, das es nicht anders hatte haben wollen. Sie waren verzweifelt darum bemüht, ihren guten Namen zu schützen. Man kann ihnen das nicht vorwerfen.«
»Ich werfe es ihnen überhaupt nicht vor. Ein Blick darauf, wie böse die Presse dich behandelt hat, genügt – und jeder hätte es genauso gemacht. Aber wieso ist er jetzt aufgetaucht?«
»Laut Lawson wurde er adoptiert. Und letztes Jahr beschloss er, seine leibliche Mutter ausfindig zu machen. Er fand die ehemalige Leiterin des Heims, in dem Rosie während ihrer Schwangerschaft wohnte, und entdeckte da, dass es doch keine glückliche Vereinigung mit seiner Familie geben würde.«
Davina stieß einen leisen Schrei aus, und Lynn steckte ihr den kleinen Finger in den Mund und lächelte auf sie hinunter.
»Das muss schrecklich für ihn gewesen sein. Bestimmt braucht man großen Mut, um nach seiner leiblichen Mutter zu suchen. Sie hat einen schon einmal zurückgewiesen, wer weiß warum, und dann setzt man sich noch einem zweiten Schlag ins Gesicht aus. Aber man klammert sich wohl an die Hoffnung, dass sie einen mit offenen Armen empfangen wird.«
»Ich weiß. Und dann herauszufinden, dass jemand einem diese Chance schon vor fünfundzwanzig Jahren genommen hat.«
Alex beugte sich vor. »Darf ich sie eine Weile nehmen?«
»Klar, es ist noch nicht lange her, dass sie getrunken hat, sie sollte also ein bisschen schlafen.« Lynn zog ihre Hände vorsichtig unter ihrer Tochter weg und gab sie an Alex weiter, als sei sie der kostbarste und zerbrechlichste Gegenstand der Welt. Er schob seine Hand unter ihren zarten Hals und lehnte sie an seine Brust. Davina murmelte leise und wurde dann still.
»Glaubt Lawson also, dass der Sohn euch nachstellt?«
»Lawson glaubt, dass niemand uns nachstellt. Er hält mich für einen paranoiden Spinner, der aus einer Mücke einen Elefanten macht. Es war ihm allerdings ziemlich peinlich, dass ihm das über Rosies Sohn herausgerutscht war, und er beruhigte mich immer wieder, er würde keiner Fliege etwas zuleide tun. Er heißt übrigens Graham. Den Zunamen wollte Lawson mir nicht nennen. Offenbar arbeitet er im IT-Bereich und soll ruhig, gefestigt und sehr normal sein«, sagte Alex.
Lynn schüttelte den Kopf. »Ich finde es unglaublich, dass Lawson das alles so leicht nimmt. Wer, meint er, hat denn die Kränze geschickt?«
»Er weiß es nicht, und es kümmert ihn nicht. Das Einzige, was ihn stört, ist, dass seine kostbare Wiederaufnahme dieses ungelösten Falls vor die Hunde geht.«
»Die könnten ja nicht mal einen Haushalt führen, geschweige denn die Ermittlung eines Mordfalls durchziehen. Hatte er eine Erklärung dafür, dass ein ganzer Karton mit relevanten Beweisstücken verloren gegangen ist?«
»Der ganze Karton ist nicht verloren gegangen. Eine Strickjacke haben sie noch. Offenbar wurde sie separat gefunden. Sie war über eine Mauer in einen Garten geworfen worden. Sie haben sie erst nach all den anderen Sachen untersucht, und wahrscheinlich ist sie deshalb getrennt von dem anderen Zeug wieder aufgetaucht.«
Lynn runzelte die Stirn. »Sie wurde später gefunden? War da nicht etwas mit einer zweiten, späteren Durchsuchung eurer Wohnung damals? Ich erinnere mich vage, dass Mondo sich darüber beklagte, weil sie Wochen nach dem Mord überall herumstöberten.«
Alex versuchte krampfhaft, sich zu erinnern. »Nach der ersten Durchsuchung … Sie kamen nach Neujahr noch einmal. Sie schabten Farbe von den Wänden und Decken. Und sie wollten wissen, ob wir die Wohnung gestrichen hätten.« Er lachte. »Ausgerechnet. Und Mondo sagte, er hätte einen von ihnen über eine Strickjacke reden hören. Er nahm an, dass sie nach etwas suchten, das einer von uns getragen hatte. Aber so war es natürlich nicht.
Sie meinten Rosies Jacke«, folgerte er triumphierend.
»Es muss also Farbe an ihrer Strickjacke gewesen sein«, sagte Lynn nachdenklich. »Deshalb nahmen sie Proben mit.«
»Ja, aber offensichtlich hat sich keine Übereinstimmung mit der Farbe in unserer Wohnung ergeben. Sonst hätten wir in einer schwierigeren Klemme gesessen.«
»Ob sie wohl eine neue Analyse der Farbe gemacht haben?
Hat Lawson etwas darüber gesagt?«
»Nicht direkt. Er sagte, sie hätten keines der Kleidungsstücke, bei dem eine Untersuchung mit modernen forensischen Methoden etwas bringen würde.«
»Das ist Unsinn. Sie können heutzutage sehr
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