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Ein abenteuerliches Herz

Ein abenteuerliches Herz

Titel: Ein abenteuerliches Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Ludwig Arnold
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hüttenartigen Unterkunft der Ruf: »Heraustreten!« Wir traten bei unseren Gruppen an und stießen auf das Kommando: »Laden und Sichern!« mit geheimer Wollust einen Rahmen scharfer Patronen ins Magazin.
    Dann ging es schweigend, Mann hinter Mann, querbeet durch die nächtliche, mit dunklen Waldstücken besäte Landschaft nach vorn. Ab und zu verhallte ein einsamer Schuß, oder eine Rakete strahlte zischend auf, um nach kurzer, geisterhafter Beleuchtung eine noch tiefere Dunkelheit zu hinterlassen. Eintöniges Klappern von Gewehr und Schanzzeug, durch den Warnruf: »Achtung, Draht!« unterbrochen.
    Dann plötzlich ein klirrender Sturz und ein Fluch: »Verdammt, reiß doch das Maul auf, wenn ein Trichter kommt!« Ein Korporal mischt sich ein: »Ruhe, zum Donnerwetter, Sie glauben wohl, der Franzmann hat Dreck in den Ohren?« Es geht schneller voran. Die Ungewißheit der Nacht, das Flimmern der Leuchtkugeln und das langsame Flackern des Gewehrfeuers rufen eine Erregung hervor, die seltsam wach erhält. Zuweilen singt kühl und dünn ein blindlings abgefeuertes Geschoß vorbei, um sich im Fernen zu verlieren. Wie oft bin ich nach diesem ersten Male in halb melancholischer, halb erregter Stimmung durch ausgestorbene Landschaften zur vorderen Linie geschritten!
    Endlich verschwanden wir in einem der Laufgräben, die sich wie weiße Schlangen durch die Nacht zur Stellung wanden. Dort fand ich mich einsam und fröstelnd zwischen zwei Schulterwehren wieder, angestrengt in eine vorm Graben liegende Tannenreihe starrend, in der meine Phantasie mir allerhand Schattengestalten vorgaukelte, während ab und zu eine verirrte Kugel durchs Geäst klatschte und sich trillernd überschlug. Die einzige Abwechslung in dieser schier endlosen Zeit bestand darin, daß ich von einem älteren Kameraden abgeholt wurde und mit ihm durch einen langen, schmalen Gang zu einem vorgeschobenen Postenloch trottete, in dem wir wiederum damit beschäftigt waren, das Vorgelände zu betrachten. Zwei Stunden durfte ich in einem kahlen Kreideloch versuchen, den Schlaf der Erschöpfung zu finden. Als der Morgen graute, war ich bleich und lehmbeschmiert wie die anderen; es war mir, als hätte ich dieses Maulwurfsleben schon monatelang geführt.
    Die Stellung des Regiments wand sich durch den Kreideboden der Champagne gegenüber dem Dorfe Le Godat. Sie lehnte sich rechts an ein zerhacktes Waldstück, den Granatwald, lief dann im Zickzack durch riesige Zuckerrübenfelder, aus denen die roten Hosen gefallener Stürmer leuchteten, und endete in einem Bachgrund, über den die Verbindung mit dem Regiment 74 durch nächtliche Streifen aufrechterhalten wurde. Der Bach rauschte über das Wehr einer zerstörten, von finsteren Bäumen umringten Mühle. Seine Wasser bespülten seit Monaten Tote eines französischen Kolonialregiments mit Gesichtern wie aus schwarzem Pergament. Ein unheimlicher Aufenthalt, wenn nachts der Mond durch zerrissene Wolken wechselnde Schatten warf und seltsame Laute in das Murmeln des Wassers und das Rascheln des Schilfes sich zu mischen schienen.
    Der Dienst war anstrengend. Das Leben begann mit dem Einbruch der Dämmerung, während der die ganze Besatzung im Graben stehen mußte. Von zehn Uhr abends bis sechs Uhr morgens durften dann je zwei Mann von jeder Gruppe schlafen, so daß man einen Nachtschlaf von zwei Stunden genoß, der jedoch durch früheres Wecken, Strohholen und andere Beschäftigungen meist auf wenige Minuten zusammenschmolz.
    Entweder hatte man Wache im Graben, oder man zog in eins der zahlreichen Postenlöcher, die mit der Stellung durch lange, ausgehobene Verbindungswege zusammenhingen; eine Art der Sicherung, die wegen der gefährdeten Lage der Posten im Laufe des Stellungskrieges bald aufgegeben wurde.
    Diese endlosen, ermüdenden Nachtwachen waren bei klarem Wetter und selbst bei Frost noch erträglich; sie wurden jedoch qualvoll, wenn es, wie meist im Januar, regnete. Wenn die Feuchtigkeit erst die über den Kopf gezogene Zeltbahn, dann Mantel und Uniform durchdrang und stundenlang am Körper herunterrieselte, geriet man in eine Stimmung, die selbst durch das Rauschen der heranwatenden Ablösung nicht erhellt werden konnte. Die Morgendämmerung beleuchtete erschöpfte, kreidebeschmierte Gestalten, die sich zähneklappernd mit bleichen Gesichtern auf das faule Stroh der tropfenden Unterstände warfen.
    Diese Unterstände! Es waren nach dem Graben zu offene, in die Kreide gehauene Löcher, mit einer Lage von Brettern und

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