Ein allzu schönes Mädchen
letzten Tagen mit ihm geschehen war.
Er rechnete nach. Es war gerade mal siebzig Stunden her, dass er seine Frau, seinen schlafenden Sohn und sein Haus im Alten
Land verlassen hatte, um in die Maschine nach Frankfurt zu steigen. Einige Stunden später hatte er im Schwimmbad dieses Mädchen
kennen gelernt. Seitdem, seit zweieinhalb Tagen, hatte er sein sonstiges Leben, hatte er seine Familie, seine Kollegen und
seinen Auftrag fast vollständig vergessen. Einmal, das war noch am Mittwochvormittag gewesen, hatte er kurz zu Hause angerufen,
um Heidi zu sagen, dass er gut angekommen sei und dass er sie liebe. Gestern dann hatte ihn der Ressortleiter sprechen wollen,
um zu hören, wie er mit seiner Reportage vorankomme. Es laufe gut, hatte er geantwortet, sehr gut sogar, aber ein paar Tage
werde er wohl noch brauchen. Die Wahrheit war, dass er keinen einzigen der verabredeten Termine wahrgenommen und dass er noch
nicht eine Zeile geschrieben hatte. Sein Notebook lag zuunterst in seinem Koffer. Er hatte es nicht einmal ausgepackt.
Lohmann versuchte, nicht darüber nachzudenken, was |256| kommen würde. Er wusste es nicht. Er drehte sich auf den Rücken und lag mit geschlossenen Augen im Dunkel des Zimmers.
Noch im Schwimmbad hatte er Manon gefragt, wo sie wohne. Sie schien ihn nicht zu verstehen. Ob sie Hilfe brauche, ob sie mit
in sein Hotel kommen wolle? Sie hatte gelächelt und genickt. An der Rezeption des «Frankfurter Hofs» hatte er «Herr und Frau
Lohmann» auf den Anmeldezettel geschrieben. Sie waren auf das Zimmer gegangen und hatten seinen Koffer abgestellt. Ob sie
denn gar kein Gepäck habe? Nein. Sonst nichts. Nur: nein. Und wieder dieses Lächeln.
Sie zog sich aus, legte sich aufs Bett und wartete, dass er sich zu ihr legte. Ihm fielen die blauen Flecken auf, die sie
am Körper hatte. Ob sie einen Unfall gehabt habe, wollte er wissen. Sie antwortete nicht. Später, am Abend, bestellten sie
den Nachtkellner und ließen sich einen Imbiss bringen. Sie war ausgehungert. Sie fiel über das Essen her wie ein junges, gieriges
Tier. Er musste noch einmal anrufen und Nachschlag bestellen. Am nächsten Morgen das Gleiche. Sie frühstückten auf dem Zimmer,
und wieder hatte sie Appetit für zwei. Der Kellner lächelte. «Es freut uns immer, wenn es unseren Gästen schmeckt.»
Georg wartete, bis sie im Bad verschwand, dann rief er Heidi an. Als er gerade auflegte, stand Manon hinter ihm.
«War das deine Frau?»
«Ja.»
«Liebst du sie?»
«Ja.»
Das war alles, was sie wissen wollte.
Hand in Hand liefen sie durch die Stadt, und jeder, der ihnen begegnete, musste sie für das glücklichste Paar der Welt halten.
Sie setzten sich auf den Rand eines Brunnens und ließen |257| sich die Sonne ins Gesicht scheinen. Sie gingen am Mainufer spazieren und schauten den Kindern auf ihren Skateboards zu. Georg
bemerkte die Blicke der Männer, von denen kaum einer an ihnen vorüberging, ohne Manon mit einer Mischung aus ungläubigem Staunen
und Bewunderung anzuschauen. Und etwas von dieser Bewunderung fiel, beim nächsten Blick, immer auch für ihn ab, der das Glück
hatte, diese schöne Frau zu begleiten.
Er wollte ihr etwas kaufen. Er wollte Geld für sie ausgeben, je mehr, desto besser. Es war, als müsse er sich und sie durch
die hohen Beträge auf den Rechnungen betäuben. In der Schillerstraße gingen sie zu einem der teuersten Juweliere und suchten
eine Halskette und ein Armband aus. Wenige Meter weiter kaufte er ihr, weil sie sich nicht entscheiden konnte, gleich drei
Paar Schuhe. In der Goethestraße, wo sich ein exklusives Bekleidungsgeschäft an das andere reihte, verbrachten sie mehr als
zwei Stunden. Egal, was Manon anprobierte, es schien wie für sie gemacht. Und zielsicher wählte sie immer die schönsten, teuersten
Stücke. Die Verkäuferinnen waren hingerissen. Und Georg war es ebenfalls. Wie entrückt schaute er Manon zu, wenn sie aus der
Umkleidekabine kam und ihm wieder ein neues Teil vorführte. Wenn die Preise genannt wurden, sah sie ihn jedes Mal fragend
an. Er aber nickte nur schweigend und freute sich seinerseits über Manons kindliche Freude.
Am Ende mussten sie ein Taxi nehmen, um die zahllosen Taschen, Tüten und Päckchen zurück ins Hotel zu transportieren, wo der
livrierte Portier einen Pagen rief, der alles auf ihr Zimmer brachte. Dann, über Mittag, schlossen sie sich für Stunden ein,
nur, um am Nachmittag erneut durch die Stadt zu
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