Ein allzu schönes Mädchen
streifen und andere Geschäfte aufzusuchen oder aber um doch noch dieses Kostüm
oder jene Tasche zu kaufen, die sie am Morgen bereits gesehen und dummerweise nicht gleich mitgenommen hatten.
|258| Es war, als entdecke Manon gerade erst die Welt. Und während sie staunend und mit immer neuen Ausrufen der Verwunderung alles
um sich herum betrachtete und berührte, besetzte sie auch noch den letzten Winkel in Georg Lohmanns Kopf.
Das war das eine.
Das andere war, dass sie manchmal unverhofft in ein stumpfes Brüten verfiel. Ihr Blick verfinsterte sich, und ihr ganzer Körper
wurde von einer merkwürdigen Starre befallen. Dann schien sie unfähig, sich zu bewegen; all ihre Sinne waren wie ausgeschaltet,
sie sah nichts, sie hörte nichts, sie spürte nichts. Oder sie zeigte plötzlich Anzeichen einer scheinbar unbegründeten Nervosität,
ihre Bewegungen wurden fahrig, und sie begann ängstlich um sich zu blicken, als lauere überall um sie her eine namenlose Gefahr.
Manon war ihm ein Rätsel. Aber Georg Lohmann war erfahren genug, um zu wissen, dass es genau das war, was seiner Neugier auf
dieses Mädchen immer neue Nahrung gab. Nie konnte er ihre Reaktionen im Voraus einschätzen. Mal nahm sie es ganz selbstverständlich
hin, dass er sie berührte, dann wieder wehrte sie ihn fast wütend ab, zog sich für lange Zeit in sich zurück, saß mit angezogenen
Beinen auf dem Bett und stierte vor sich hin oder auf den Fernseher, den sie, die Fernbedienung krampfhaft umklammert, von
einem Programm zum anderen schaltete. Wenn er sie dann ansprach, tat sie, als habe sie nicht gehört.
Einmal hatte er nur die Hand nach ihr ausgestreckt, als sie ihn sofort mit beiden Fäusten attackierte, ihn an den Haaren riss
und nach ihm trat. Sie weinte, und kurz darauf lachte sie wieder und schlang die Arme um seinen Hals.
Er wusste nichts über sie. Er kannte ihren Nachnamen nicht, er hatte keine Ahnung, wo sie herkam, und er konnte sich nicht
einmal sicher sein, ob Manon ihr wirklicher Vorname |259| war. Hatte sie kein Zuhause, keine Eltern, keine Geschwister, keine Freunde oder einen Liebhaber? Sie wich seinen Fragen aus,
sie schwieg oder küsste ihn, statt ihm eine Antwort zu geben, in der unverhohlenen Absicht, ihn so von seinen Fragen abzulenken.
Gestern Abend, als er sie wieder mit seiner Neugier traktiert hatte, hatte Manon ihn direkt angesehen und gefragt: «Warum
willst du das alles wissen? Was würde es dir nützen, was würde es ändern, wenn ich dir eine Antwort auf deine Fragen geben
könnte?»
Er hatte nicht gewusst, was er erwidern sollte. Einen Moment lang war er versucht gewesen zu sagen: «Weil ich, nach all dem
Geld, das ich für dich ausgegeben habe, ein Recht habe zu wissen, wer du bist.» Aber das hatte er nicht gesagt. Er hatte geschwiegen
und sich geschworen, sie nicht noch einmal durch seine Fragen zu verärgern.
Jetzt hatte er sich im Bett aufgesetzt und schaute sie an. Durch den Spalt der geschlossenen Vorhänge drang ein Strahl des
ersten Sonnenlichts. Sie lag auf dem Bauch und hatte ihren Kopf im Kissen vergraben. Vorsichtig, fast ohne sie zu berühren,
fuhr er ihr mit der Hand über die Haare.
Sie begann, sich zu regen. Es dauerte weitere zehn Minuten, bis sie das erste Mal die Augen öffnete. Sie streckte sich. Dann
sah sie ihn an. Ihr Blick war finster.
«Was ist mit dir?», fragte er.
«Nichts.»
«Soll ich uns Frühstück bestellen? Du bist sicher hungrig.»
«Nein, lass mich. Ich bin noch müde», sagte sie.
«Dann werde ich runter ins Restaurant gehen. Du kannst ja nachkommen, wenn du magst.»
Sie sagte nichts mehr.
Er stand auf und ging ins Bad. Dann kleidete er sich leise an |260| und zog die Zimmertür hinter sich zu. Manons düstere Stimmung beunruhigte ihn.
Mit dem Fahrstuhl fuhr er ins Erdgeschoss und betrat das Restaurant. Er ging ans Frühstücksbuffet, füllte seinen Teller, suchte
sich Platz an einem der Tische und bestellte einen Milchkaffee.
Kurz darauf trat ein Hotelangestellter auf ihn zu. «Herr Lohmann?»
«Ja?»
«Entschuldigen Sie bitte die Störung, aber darf ich Sie etwas fragen?»
«Bitte!», sagte Georg.
«Es klingt vielleicht etwas indiskret, aber heißt Ihre Frau Manon?»
Georg war einen Moment lang irritiert über die Frage. Er fühlte sich ertappt. Er versuchte seine Verunsicherung zu überspielen.
«Ja, sicher. Warum?»
«Vor etwa zwei Stunden kam ein Mann zu mir an die Rezeption, zeigte ein Foto Ihrer Frau und
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