Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Titel: Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Henning
Vom Netzwerk:
haben würde.
    Er warf die Zeitung in den Abfalleimer zurück, stieß sie mit dem Fuß tiefer hinein und trat so lange auf sie ein, bis er atemlos den Fuß aus dem engen Plastikoval herauszog und sich zitternd abwandte.
    Auf dem Gang begegnete ihm die Schwester, die Nachtdienst gehabt hatte, als Paul zur Welt gekommen war.
    »Und? Wie geht es Ihrem kleinen Sohn?«, sagte sie und lächelte ihn freundlich an.
    »Er wird gerade operiert«, antwortete Bertram fahrig und registrierte, wie sich ein Wassertropfen aus seinem feuchten Haaransatz löste und ihm in die Stirn lief.
    »Operiert? Aber wieso denn das?«
    »Ich weiß nichts Genaues, aber offenbar bestand die Gefahr eines Darmdurchbruchs.« Bertram wischte sich mit der Hand kurz über die Stirn.
    »Das tut mir leid«, sagte sie, »aber bestimmt wird alles gut. Ich drücke Ihnen jedenfalls ganz fest die Daumen.« Dabei balltesie beide Fäuste, schüttelte sie ein paarmal demonstrativ vor der Brust und lief lächelnd davon.
    »Danke«, rief Bertram und blickte ihr nach, »vielen Dank.« Hilfesuchend blickte er den Gang hinunter, bis er kurzentschlossen zurück zur Pförtnerloge lief und zu dem hinter der Telefonanlage sitzenden Mann sagte: »Sie müssen mir helfen!«
    Nachdem er, den Anweisungen des Pförtners folgend, über Flure und Treppen hinweg endlich vor der mit signalroten Leuchtstreifen beklebten Milchglastür des OP- und Intensivbereichs stand, strich er sich mit der flachen Hand über das immer noch feuchte Haar.
    Zögerlich drückte er den ebenfalls roten Klingelknopf, trat einen Schritt zurück und lauschte. Nach ein paar Sekunden sprang die Tür auf, und eine mit grünem Kittel und einer ebenfalls grünen Hose bekleidete Frau, deren brünette Locken unter einem engmaschigen Haarnetz verstaut waren, sagte: »Ja, bitte?« Um ihren Hals hing an einer hellen Schnur befestigt ein Mundschutz.
    »Ich bin der Vater von Paul Wilkins«, sagte Bertram und suchte das starre Gesicht der vielleicht vierzig Jahre alten Frau nach irgendeinem Hinweis ab, der ihn zuversichtlich stimmen würde. Nach irgendeinem noch so winzigen Zeichen, dem Anflug eines Lächelns. Vergeblich.
    »Sie müssen sich leider noch ein wenig gedulden, die OP läuft noch«, antwortete die Frau.
    »Aber können Sie nicht irgendetwas sagen, das, ich meine … eine Tendenz, wie es aussieht, eine vorläufige Prognose, irgendwas Hoffnungsvolles, das ich meiner Frau sagen kann?«, ließ Bertram nicht locker.
    »Sagen Sie ihr, dass wir alles Menschenmögliche tun, um Ihr Kind zu retten.«
    »Zu retten?« Bertram blickte die Frau fassungslos an. »Was heißt zu retten? Wie meinen Sie das?«
    »So, wie ich es gesagt habe«, antwortete die Frau. »Der Zustand des Jungen hat sich innerhalb der letzten halben Stunde dramatisch verschlechtert, es ist zu einer Sepsis gekommen.«
    »Einer Sepsis?«, sagte Bertram tonlos. »Was ist das?«
    »Eine Blutvergiftung, in deren Folge es zu einer lebensbedrohlichen Störung der Vitalfunktionen und zum Versagen mehrerer Organe gekommen ist.«
    »Heißt das, dass er …? Aber wieso denn?« Hier versagte ihm die Stimme.
    »Gehen Sie zurück zu Ihrer Frau, Herr Wilkins, bitte! Im Moment können Sie sowieso nichts für Ihren Sohn tun.«
    Die Frau hatte sich die ganze Zeit gegen den Metallrahmen der geöffneten Tür gelehnt. Doch nun löste sie sich davon und trat einen Schritt auf Bertram zu. Sie hielt die Tür aber gleichzeitig mit der einen Hand fest. Dabei legte sie kurz ihre andere Hand auf seinen Oberarm, sah ihn durchdringend an und sagte: »Wir tun unser Bestes. Sagen Sie das Ihrer Frau.«
    Bertram spürte, wie ihn plötzlich aller Mut verließ. Er drehte sich um. Hinter ihm klappte die Glastür zu.
    ***
    Die Lederjacke wärmte ihn an kühleren Tagen wie ein Fell und verlieh seinem Äußeren etwas Entschlossenes. Etwas Cooles. Furchtloses.
    Doch wegen der anhaltenden Hitze, die trotz der heruntergedrehten Scheiben im Wagen herrschte, schwitzte er jetzt in dem Ding wie ein Affe. Aber wie zum Teufel zog man seine Jacke aus, wenn man einen geladenen Colt in der Hand hatte, um damit zwei Geiseln in Schach zu halten? Man konnte ja schlecht zu der einen sagen: »Hier, nimm mal!«, und ihr den Colt in die Hand drücken. »Ich muss grad mal meine Jacke ausziehen, wegen der Scheißhitze, verstehste?«
    Deshalb kam ihm der Ausflug von Hansi und Marion geraderecht. In der Zeit konnte er endlich die Jacke ausziehen und in Ruhe pinkeln. Von der Polizei war im Moment sowieso nichts zu

Weitere Kostenlose Bücher