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Ein dickes Fell

Titel: Ein dickes Fell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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der Früh meint, es wird wohl ein schöner Tag werden, sagen, das wird wohl der längste Tag in meinem Leben.
     
    Cheng stand vor dem kleinen Ententeich. Auch so eine Keimzelle. Sie bildete das Zentrum des zwischen zwei Bezirken großzügig eingeklemmten Stadtparks.
    Für Cheng war dieser Ort in mehrfacher Hinsicht ein magischer. In erster Linie natürlich, da er ihn aus seiner Kindheit und Jugend kannte. Denn so touristisch der Stadtpark mit Kursalon und Johann-Strauß-Denkmal und lärmenden Pfauen und seiner Innenstadtlage auch sein mochte, so war das ja nichtsdestotrotz eine zutiefst wienerische Lokalität. Eine unheimliche dazu, wenn man bedachte, daß hier der unterirdisch geführte Wienfluß ins Freie trat und in einem breiten, tiefen, prunkvoll angelegten Kanalbett den Park in zwei Teile spaltete. Wobei jener schmalere, von der City abgewandte und sich hinüber zum dritten Bezirk neigende Abschnitt alles Touristische ablegte und über das herbe Gesicht eines bloßen Parks samt betoniertem Fußballplatz verfügte.
    Hier hatte Cheng, nachdem er mit seinen Eltern von Kagran in die Ungargasse gezogen war, seine Kindheit verbracht, im Dauerschatten hoher, dicht stehender Bäume sowie auf der weiten Fläche des harten Sportplatzes, wo man sich in idealer Weise die Knie hatte aufschlagen können. Das aufgeschlagene Knie war derart üblich gewesen, daß ein vollkommen heiles Knie sonderbar, ja abartig angemutet hätte, in etwa wie der Blindband eines Buches. Jungs mit heilen Knien waren an diesem Ort undenkbar gewesen. Daß sie möglicherweise existierten, verschanzt hinter Klavieren, eingewoben in eine ominöse Hirnexistenz, hatte hier niemanden gekümmert. Ein Leben jenseits von Fußball und jenseits dem Durchbrechen aufgebauschter Verbote war als bedeutungslos empfunden worden.
    Die tunnelartige Öffnung, aus welcher der Wienfluß aus seinem Untergrund heraustrat und als zumeist moderates Bächlein Richtung Donaukanal floß, bildete den Gipfel des Mysteriösen. Soweit Cheng zurückdenken konnte, hatte er dieses regulierte Gewässer nie anders erlebt als eine Reihung lose verbundener Pfützen oder als ein flaches Rinnsal, das in einer riesenhaften steinernen Wanne dahintrieb und somit den Eindruck eines fünfjährigen Thronfolgers hinterließ, welcher mit Säbel und Uniform und Stupsnase inmitten großgewachsener Offiziere paradiert.
    Natürlich hatte es in diesen Jahrzehnten auch in Wien mal Hochwasser gegeben, sodaß der Wienfluß angeschwollen sein mußte. Doch in Chengs Erinnerung war er nie so breit oder gar heftig gewesen, um auch nur annähernd die mächtige Konstruktion zu rechtfertigen, in die man ihn gebettet hatte. Und welche an der Stelle, an der die vollständige Umwölbung nach oben hin aufriß, ja auch weltberühmt geworden war. Nicht so sehr wegen der Ausschmückung durch den Architekten Ohmann, als wegen jener Szene aus dem Dritten Mann, da Harry Lime durch eben diese Tunnelöffnung in das Wiener Kanalsystem flüchtet. Die Pforte, dieser wahrhaftige Rachen, der sich hier auftat und zu dem hinabzusteigen es einiger Kletterkünste bedurfte, hatte Cheng und seine Freunde eine Kindheit lang in Atem gehalten. Und hatte einen Schrecken bewahrt, den auch keine Mondlandung hatte auflösen können. Denn daß irgendwelche Amerikaner unverletzt auf einem Steinhaufen gelandet waren, war kaum geeignet gewesen, die Alpträume und Sehnsüchte zu verjagen, die sich im Angesicht dieser Röhre und in Gedanken an alles Dahinterliegende ergeben hatten.
    Es muß gesagt werden, daß Cheng zwar einige Male die steile Verbauung hinuntergerutscht war, sich jedoch niemals in den umwölbten Bereich vorgewagt hatte. Da war ihm ein jedes Mal das Schlottern in seine lädierten Knie gefahren. Aber auch die Mutigen unter seinen Freunden hatten sich bloß kurze Stücke in das Innere der Röhre getraut, um sodann mit dem Rücken voran wieder herauszukommen. Und das war gut so. Denn auf diese Weise war das Geheimnis des Wienflusses erhalten geblieben. Und welchen anderen Sinn könnte ein Geheimnis besitzen, als erhalten zu bleiben. (Um noch einmal auf den Mond zurückzukommen: Die Mondlandung – gestellt oder nicht – war ein Verbrechen. Ein Verbrechen am Mond und einer phantasiebegabten Menschheit, die von ein paar kalten Kriegern dazu gezwungen wurde, diesen zauberischen Trabanten als eine staubige Hügellandschaft wahrzunehmen. Und als nichts sonst. )
    Mit den Wechsel von der Kindheit zur Jugend hatte sich Cheng auch immer

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