Ein Engel fuer Charlie
hatte das Gefühl, in einen sicheren Hafen eingelaufen zu sein.
Charlie, Meredith und die liebevolle Beziehung, die die beiden hatten, das Haus, der Schnee und die gute Laune, die herrschte – all das zusammen machte sie ungewohnt glücklich.
Das war nicht ungefährlich. Wahrscheinlich sogar sehr gefährlich. Das hier war nicht die Wirklichkeit. Zumindest nicht ihre. Sie war eine Fremde, die nur einen Moment in dem Leben der beiden verweilte. Sie würde bald wieder verschwinden, und die beiden würden mit ihrem Leben fortfahren, als ob es sie nie gegeben hätte. Aber solange sie das nicht vergaß, solange sie sich nichts vormachte, könnte sie doch diese wundervollen Momente genießen. Was sprach dagegen?
Und genau das hatte sie vor. Sie würde das Beste aus der kurzen Zeit machen, die ihr zur Verfügung stand. Warum auch nicht!
Während Starla ein Buch las, ging Charlie mit Meredith in die Werkstatt, und sie arbeiteten eine Stunde an dem Geschenk für seine Mutter. Es war ein Möbelstück, das Charlie bereits vor langer Zeit begonnen hatte. Jetzt musste das Holz noch behandelt und gewachst werden. Meredith liebte diesen Teil der Arbeit, und sie genossen die Zeit, die sie miteinander verbrachten. Er hätte ihr bereits früher kleinere Aufgaben übertragen sollen. Erst jetzt wurde ihm klar, wie sehr er sie ausgeschlossen hatte.
Nach dem Abendessen sah Charlie zu, wie Starla und Meredith zusammen die Geschirrspülmaschine einräumten. Er bemerkte, wie Starla immer wieder zu ihm herübersah. War es Glück gewesen oder Schicksal, das Starla vor zwei Tagen nach Elmwood in das Restaurant geführt hatte? Jedenfalls war er unendlich dankbar, dass ihm so etwas Schönes sozusagen in den Schoß gefallen war.
Er reichte ihr einen Teller, und ihre Hände berührten sich. Es erstaunte ihn immer noch, dass eine so schöne, charmante und geistreiche Frau wie Starla ihm überhaupt einen zweiten Blick schenkte. Ganz zu schweigen davon, dass sie anscheinend ebensolche Lust auf ihn hatte, wie er auf sie.
Also gut, er war nicht gerade hässlich und hatte mit Frauen noch nie Probleme gehabt, aber er war auch nicht gerade Brad Pitt. Starla schien sich jedoch in seiner Gegenwart wohl zu fühlen. Und was das Seltsamste war: sie erwartete nichts von ihm. Sie brachte ihn zum Lachen und erregte ihn so sehr, dass es ihn fast um den Verstand brachte.
Gleichzeitig jedoch fühlte er sich in ihrer Gegenwart so entspannt wie mit kaum einem Menschen und das, obwohl er sie doch kaum kannte. Warum war das so?
Er schien in ihrer Nähe richtig aufzuleben und erkannte sich manchmal selbst nicht wieder. Weder Kendra noch irgendeine andere Frau hatten ihm je dieses Gefühl gegeben.
Starlas Gegenwart gab ihm irgendwie die Freiheit, der zu sein, der er war. Sie hatte keine vorgefasste Meinung über ihn, und er konnte sich so geben, wie er war. Weder erwartete sie etwas, noch wollte sie etwas von ihm – nichts, außer vielleicht seinen Körper. Und den würde er ihr nur zu bereitwillig geben.
Es war angenehm, mit ihr zu reden. Es machte Spaß, mit ihr zusammen zu sein, und er geriet nicht in Gefahr, sich zu verbrennen, wenn er mit dem Feuer spielte – denn Starla würde wieder gehen. Ja, sie würde schon bald wieder nach Maine zurückkehren.
Er ignorierte rasch diesen Gedanken und wandte sich Meredith zu. „Es wird Zeit, ins Bett zu gehen, Liebling“, meinte er. „Geh schon deine Zähne putzen. Ich bin gleich bei dir.“
„Liest du mir eine Geschichte vor?“
„Vielleicht sogar zwei.“
Meredith stieß einen Freudenschrei aus und lief ins Bad.
Während Starla die Geschirrspülmaschine anstellte, lehnte sich Charlie gegen den Schrank und dachte über ihr Gespräch am Nachmittag nach. Als Starla ihn gefragt hatte, wer er war, und er antwortete, dass er das nicht wisse, war das kein Witz, sondern die Wahrheit gewesen.
Charlie hatte nie die Freiheit gehabt, herauszufinden, wer er wirklich war. Er war ein verantwortungsbewusster Sohn, ein zuverlässiger Ehemann und ein fürsorglicher Vater gewesen. Er war alles gewesen, was andere von ihm erwartet hatten – aber er hatte nie etwas für sich allein wählen können. Er hatte ja im Grunde genommen noch nicht einmal seine eigene Frau ausgesucht.
Ein tiefes Bedauern stieg bei diesem Gedanken in ihm auf.
Als er bereits in jungen Jahren Waise geworden war, hatten ihn die Phillips als ihr eigenes
Kind
angenommen.
Kendra
war
ebenso
liebenswürdig
und
entgegenkommend wie ihre Eltern
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