Ein gefährliches Werkzeug
essen.
Bald darauf trat ein andrer Gast in den Verschlag und ließ sich ihm gegenüber nieder; diese Persönlichkeit war aufs sorgfältigste in einen schwarzen, etwas zu weiten Anzug gekleidet und trug untadelhafte Wäsche. In der Hand hielt er ein zur Größe einer Apfelsine zusammengeballtes Taschentuch, mit dem er von Zeit zu Zeit seine Stirn betupfte. Als der Kellner erschien, um sich nach seinen Befehlen zu erkundigen, äußerte der neue Gast seinen Wunsch nach einem blutigen Steak und einem Schoppen bitteren Ales in einem halb zögernden, halb vertraulichen Ton, wie wenn er ihm ein Geheimnis anvertraut hätte. Nachdem sich der Kellner wieder entfernt hatte, betrachtete sich der Mann in Schwarz zum erstenmal sein Gegenüber, wobei er den Kopf hin und her drehte, als wolle er neue Gesichtspunkte gewinnen. Offenbar war er überrascht, unsicher über dieIdentität seines Nachbars und wünschte sehnlichst diese festzustellen. Seine Ungewißheit dauerte, bis ihm der Kellner sein Steak gebracht hatte und wieder verschwunden war. Dann streckte der Mann in Schwarz seine Hand nach dem Essig- und Oelgestell aus und sagte: »Sie gestatten, mein Herr.«
Esden sah auf, erkannte ihn auf den ersten Blick und wurde nun seinerseits ebenfalls erkannt. Ueber das gegenseitige Erkennen konnte kein Zweifel obwalten, allein nach einem kalten, gleichgültigen Blick auf den Mann ihm gegenüber, nahm der Anwalt seine Zeitung, lehnte sie gegen seine Weinflasche und fuhr fort zu essen und zu lesen. Die Persönlichkeit, deren Charakter soeben erst von einem Dutzend seiner Mitbürger gereinigt worden war, rollte sein Taschentuch zwischen seinen Händen und schien sich etwas unbehaglich zu fühlen. Doch bald faßte er sich wieder und nahm mit ebensoviel Kraft als Freudigkeit sein Steak in Angriff, so daß er sein Mahl noch vor dem früheren Gast beendet und bezahlt hatte.
Als dann der Anwalt bezahlte und sich zum Fortgehen anschickte, ohne ein Zeichen des Erkennens zu geben, erhob sich auch Reuben Gale. Esden nahm seinen Hut und schlenderte auf die Straße hinaus. Der Mann folgte ihm in einer Entfernung von etwa zehn Meter. Nach einigem Zögern beschleunigte Gale seine Schritte und trat, den Hut in der Hand, an Esden heran.
»Ich glaube,« begann er mit demütiger Schüchternheit, »daß ich die Ehre habe, mit Herrn Wyncott Esden zu sprechen.«
Kühl blickte der größere Esden auf ihn herab.
»Nun?« fragte er in kurzem, verächtlichem Ton.
»Ich war überzeugt, daß ich mich nicht täusche,« sagte Gate, noch immer den Hut in der Hand, mit ihm Schritt haltend. In seiner Stimme lag etwas Einschmeichelndes, aber durchaus nichts Zudringliches; jedenfalls sah der Mann keineswegs wie ein verzweifelter Verbrecher aus und sprach auch nicht wie ein solcher. »Ich weiß wirklich nicht, mein Herr, wie ich Ihnen für die bewunderungswürdige Art und Weise danken soll, mit der –«
Er unterbrach sich, bis ein zufällig Vorübergehender außer Hörweite war, und fuhr dann fort: »Für die wirklich bewunderungswürdige Weise, in der Sie meine Verteidigung geführt haben.«
»Schon gut,« erwiderte Esden, mit demselben gleichgültigen Blick auf ihn herabsehend und in demselben verächtlichen Tone sprechend.
»Ich bin überzeugt,« fuhr der Mann fort, »daß kein andrer Anwalt für mich hätte leisten können, was Sie heute nachmittag fertig gebracht haben. Die Sache stand sehr schlimm für mich, mein Herr; ich glaube nicht, daß sich je zuvor ein unschuldiger Mann in einer solchen Klemme befunden hat.«
»Sehr gut,« bemerkte Esden und beschleunigte seinen Schritt.
Der Mann wich nicht von seiner Seite.
»Wenn es in meiner Macht läge,« fuhr er in seinem entschuldigenden, einschmeichelnden Tone fort, »Ihnen dies irgendwie zu vergelten, so wäre mir damit eine große Last vom Herzen genommen.«
»Sie werden begreifen,« sagte Esden, plötzlich stehen bleibend, »daß es etwas anderes ist, einen Herrn Ihrer Profession zu verteidigen, oder mit ihm in den Straßen spazieren gehend gesehen zu werden. Ich bin genötigt, Ihnen einen guten Abend zu wünschen, Herr Gale.«
»Das ist ganz in der Ordnung, Herr Esden,« erwiderte Gale, nicht von der Stelle weichend, »und ich erkenne sehr wohl die Kluft zwischen uns, aber ein Mann muß auch dem Zug seines Herzens folgen. Sie haben mir heute nachmittag einen Dienst geleistet, wie noch nie jemand zuvor.«
»Mein guter Freund,« erwiderte Esden etwas besänftigt durch die schmeichelhafte Dankbarkeit
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