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Ein Hauch von Schnee und Asche

Ein Hauch von Schnee und Asche

Titel: Ein Hauch von Schnee und Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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Draußen war die Luft ebenfalls heiß, aber sie war frisch, und sie bewegte sich. Ich zog meine Haube aus – wenn ich sie nicht trug, krallte Mandy für ihr Leben gern beide Hände in mein Haar und riss daran; für ein Kind mit einem Herzfehler hatte sie erstaunliche Kraft. Zum millionsten Mal fragte ich mich, ob ich mich geirrt haben könnte.
    Doch ich irrte nicht. Sie schlief jetzt, und die Farbe ihrer Wangen war das
zarte Rosa eines gesunden Babys; wenn sie wach war und strampelte, verblasste diese sanfte Röte, und hin und wieder nahmen ihre Lippen und ihre winzigen Nagelbetten eine nicht minder schöne, aber gespenstische Blaufärbung an. Sie war zwar lebhaft – aber sehr klein. Brianna und Roger waren beide groß; Jemmy hatte in seinen ersten Lebensjahren zugenommen wie ein kleines Nilpferd. Mandy wog nach wie vor kaum mehr als bei ihrer Geburt.
    Nein, ich irrte nicht. Ich trug ihren Korb zum Tisch, wo der warme Wind sanft über sie hinwegwehen konnte, und setzte mich daneben, um ihr vorsichtig die Finger auf die Brust zu legen.
    Ich konnte es spüren. Genau wie am Anfang, jetzt aber deutlicher, weil ich wusste, was es war. Hätte ich einen richtigen Operationssaal zur Verfügung gehabt, die Bluttransfusionen, die kalibrierte und sorgsam verabreichte Anästhesie, die Sauerstoffmaske, die flinken, ausgebildeten OP-Schwestern … Eine Operation am offenen Herzen ist niemals eine Kleinigkeit, und die Chirurgie bei Neugeborenen birgt naturgemäß große Risiken – doch ich hätte es gekonnt. Konnte in meinen Fingerspitzen genau spüren, was zu tun war, konnte vor meinem inneren Auge das Herz sehen, kleiner als meine Faust, den schlüpfrigen, pumpenden, gummiartigen Muskel und das Blut, das durch den Ductus arteriosus floss, ein kleines Gefäß, das keine vier Millimeter Durchmesser hatte. Ein winziger Schnitt in das Axillargefäß, dann schnell den Ductus mit einem Seidenfaden abbinden. Fertig.
    Das wusste ich. Aber leider ist Wissen nicht zwangsläufig Macht. Und Wünschen hilft auch nicht zuverlässig. Nicht ich würde es sein, die meine kostbare Enkeltochter rettete.
    Würde sie jemand retten?, fragte ich mich und ergab mich einen Moment den finsteren Gedanken, gegen die ich mich aus Leibeskräften wehrte, solange jemand in der Nähe war. Es war möglich, dass Jemmy Unrecht hatte. Jedes Baby würde nach einem bunten Glitzerding wie dem Rubin greifen – aber dann fiel mir wieder ein, wie sie begeistert nach dem gammeligen Lederbeutel mit dem Rohsaphir gefischt hatte.
    Vielleicht. Ich wollte nicht über die Gefahren der Passage nachdenken – oder über die Gewissheit der Trennung für immer, ganz gleich, ob ihnen die Reise durch die Steine gelang oder nicht.
    Ich hörte Lärm im Freien und entdeckte weit draußen die Masten eines großen Schiffs. Und noch eines, noch weiter draußen. Mein Herz setzte einen Schlag aus.
    Es waren Ozeansegler, nicht die kleinen Paket- und Fischerboote, die an der Küste auf und ab fuhren. War es möglich, dass sie zu der Flotte gehörten, die man als Antwort auf Gouverneur Martins Bitte geschickt hatte, ihm bei der Niederwerfung und Rückeroberung der Kolonie zu helfen? Das erste Schiff dieser Flotte war Ende April am Cape Fear eingetroffen – doch die Soldaten, die damit gekommen waren, hatten sich bedeckt gehalten und warteten auf den Rest.

    Ich beobachtete sie eine Weile, doch die Schiffe kamen nicht näher. Vielleicht blieben sie absichtlich liegen und warteten auf den Rest der Flotte? Vielleicht waren es ja auch gar keine britischen Schiffe, sondern Amerikaner, die der britischen Blockade in New England auswichen, indem sie sich südlich hielten.
    Von Prusten und Kichern begleitetes Männergetrampel auf der Treppe lenkte mich von meinen Gedanken ab.
    Es waren eindeutig Jamie und Ian, obwohl ich nicht verstehen konnte, was der Grund für so viel Ausgelassenheit war. Als ich sie zuletzt gesehen hatte, waren sie zu den Docks unterwegs gewesen, weil sie den Auftrag hatten, eine Ladung Tabakblätter gegen Pfeffer, Salz, Zucker, Zimt – falls auffindbar – und Nadeln – um einiges schwerer zu finden als Zimt – für Mrs. Bug einzutauschen und irgendeinen großen, essbaren Fisch zum Abendessen zu besorgen.
    Den Fisch hatten sie zumindest, eine große Königsmakrele. Jamie trug ihn am Schwanz, denn egal worin er eingewickelt gewesen war, es war offensichtlich bei einer Art Zwischenfall verloren gegangen. Sein Zopf hatte sich aufgelöst, so dass sich lange rote Strähnen über

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