Ein kalter Strom
nicht beachtet wurde.
Es war bei weitem nicht genug, aber es musste reichen. Morgen würde sie ihre Taktik noch verfeinern, und dann war es Zeit für ihren wirklichen Auftritt in dieser Welt.
Kapitel 9
E s war wie das Herumkratzen an einem Schorf, das man nicht lassen kann. Die Qual war heftig, aber unwiderstehlich. Tadeusz saß an der glänzenden, knorrigen Eichenholzplatte, die ihm in seinem Büro zu Hause als Schreibtisch diente, und ging seine Fotos von Katerina durch. Es gab die Bilder von öffentlichen Anlässen, das Paar bei einer Filmpremiere, bei der die Fotografen sie wegen ihres strahlenden Aussehens für einen Nachwuchsstar gehalten hatten. Dann ein Benefizdiner, bei dem Katerina ihn mit einem Stückchen Hummer fütterte. Katerina bei der feierlichen Einweihung der Kindertagesstätte, die sie durch Sammeln von Geldmitteln unterstützt hatte. Es gab eine Reihe von Porträtfotos, zu denen er sie damals überredet hatte, weil er sie sich als einziges Geburtstagsgeschenk von ihr wünschte. Die sinnliche Qualität der Bilder zeigte, welches Vergnügen es gewesen war, sie aufzunehmen.
Dann gab es noch ein Dutzend Schnappschüsse, die er von ihr teils spontan, teils sorgfältig arrangiert gemacht hatte. Katerina in Paris mit schräg gelegtem Kopf, so dass sich der Eiffelturm in den Gläsern ihrer Sonnenbrille spiegelte. Katerina in Prag vor dem Wenzelsplatz als dramatischem Hintergrund. Katerina auf dem Marktplatz in Florenz, wo sie die glänzende Bronzeschnauze des Wildschweins rieb, was Glück bringen sollte. Und Katerina in einem Bikini auf einem Liegestuhl, ein Bein angewinkelt und in die Lektüre eines billigen Schmökers vom Flughafen vertieft. Er konnte sich nicht einmal mehr erinnern, ob diese letzte Aufnahme von Capri oder Grand Cayman stammte. Irgendwie war es in die Serie der Pragfotos geraten. Es war also nicht weit her damit, dass jedes Bild eine Geschichte zu erzählen hatte.
Immer hatte er vorgehabt, die Bilder in einem Album zu ordnen, aber solange Katerina noch am Leben war, hatte er nie Zeit gefunden, und die Sammlung war immer weiter gewachsen. Jetzt hatte er alle Zeit der Welt, um die Bilder von Katerina in der Reihenfolge zu arrangieren, die er sich wünschte. Tadeusz seufzte und griff nach einem der Lederalben, die er diese Woche bei einem Großhändler für Fotobedarf ausgesucht hatte. Er schlug noch eine Mappe mit Schnappschüssen auf und fing an, sie durchzusehen. Landschaftsbilder und interessante architektonische Details schied er aus, suchte die besten Aufnahmen von Katerina heraus und arrangierte die ersten drei auf einer Seite. Peinlich genau klebte er sie auf und schrieb dann in seiner ordentlichen Schrift daneben: »Katerina in Amsterdam. Unser erstes gemeinsames Wochenende«. Er würde das Datum in seinem Terminkalender nachsehen müssen, eine Erkenntnis, die ihn ärgerte. Es erschien ihm falsch, dass nicht jede Einzelheit in seine Erinnerung eingegraben war, es kam ihm wie ein Zeichen von Respektlosigkeit vor, die Katerina nicht verdient hatte.
Das Summen des Video-Überwachungsgeräts an der Pforte unterbrach ihn, und er schlug das Album zu, stand auf und ging durch den Flur zu dem kleinen Bildschirm, der diskret neben der Wohnungstür angebracht war. Draußen stand halb zur Straße hin gewandt Darko Krasic, dessen stets wachsamer Blick hin und her ging. Sogar hier auf den vornehmen Straßen Charlottenburgs hielt sein Helfer seine Sicherheit nicht für selbstverständlich. Krasic zitierte immer seinen Vater, einen Fischer: »Eine Hand fürs Boot und eine für dich selber.« Tadeusz störte das, was manche für übertriebene, fast krankhafte Vorsicht gehalten hätten, nicht im Geringsten. Seiner Meinung nach ging es Krasic ebenso sehr um Tadeusz’ wie um seine eigene Sicherheit, und deshalb sah er darin eher einen Bonus als einen Anlass zur Sorge.
Er drückte auf den Türöffner, ließ die Tür eingeklinkt und ging in die Küche, um Kaffee zu machen. Kaum hatte er die Kaffeebohnen aus dem Gefrierfach genommen, als Krasic mit gesenktem Kopf hereinkam, ein breitschultriger Mann, der aussah, als sei er nach etwas auf der Suche, an dem er seine Streitlust auslassen konnte. Aber er wusste nur allzu gut, dass er sie nicht gegen seinen Chef richten sollte. »Wir haben ein Problem«, sagte er überraschend ruhig.
Tadeusz nickte. »Ich habe die Nachrichten gehört. Schon wieder zwei tote Junkies in irgendeinem beschissenen Nachtclub in der Oranienstraße.«
»Sieben also, wenn
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