Ein Kreuz in Sibirien
…«
»Warum reden wir?« fragte Bataschew und hüpfte auf der Stelle. Geradezu spielerisch sah es aus. »Die Zeit drängt, Genosse Kommandant. In Ninas Ofen brutzelt ein dicker Rinderbraten, da will ich so schnell wie möglich hin! – Geht's nach drei Runden?«
»Nein! Ohne Zeitunterbrechung. So lange, bis einer umfällt.« Rassim trat einen Schritt zurück und nahm die Deckung hoch. »Wer gibt das Zeichen?«
»Ich.« Bataschew rollte mit den Oberarmen. »Gong!«
Wie ein Stier stürzte Rassim vor und genau in die herausschnellende Rechte Bataschews . Ein klatschender Laut war es, mit nichts vergleichbar, und Bataschew sagte höflich: »Verzeihung …«
Seien wir nicht neugierig auf Einzelheiten – wer will sie so wichtig nehmen? Nach knapp zwanzig Minuten jedenfalls kam Bataschew wieder aus der Kommandantur heraus, angezogen und unbeschädigt, schlenderte hinüber zur Autowerkstatt, betrat den Theatersaal und sagte zu dem ihm entgegenstarrenden Abukow : »Das Bühnenbild ist gerettet. Unsere Möbel faßt keiner mehr an. Kein Jubel, Victor Juwanowitsch – das war doch selbstverständlich unter Freunden. Wie ich mich auf den Braten freue! Eine Preiselbeersoße will Nina Pawlowna dazu machen.«
Er verließ das Theater wieder, erschien bei Gribow in der Wohnung, gab der zitternden Axinja einen Kuß und setzte sich an den Tisch.
»Was ist mit Rassim ?« stotterte Gribow und erbleichte. »Lebt er noch?«
»Welche Frage!« Bataschew schnupperte in Richtung Küche. Köstlich roch es da. »Werde mich hüten, einen Oberstleutnant der Roten Armee zu erschlagen. Wir brauchen ihn noch.«
Um zwei Uhr, beim verabredeten Mittagessen, erlebte Kabulbekow einen wortkargen, ja geradezu stillen Rassim , der äußerst vorsichtig das Fleisch kaute und mit Wein seine Lippen kühlte.
Sechs Wochen lang probte man die ›Lustige Witwe‹. Eine anstrengende, aufreibende Arbeit war das, bei der Abukow nur dann helfen konnte, wenn er wieder mit seinem ›reparierten‹ Kühlwagen Nummer 11 im Lager erschien. Einen Urlaub hatte man ihm abgeschlagen: Bevor die Regenperiode begann und damit der Kampf gegen den Schlamm, bevor das Land aufweichte und dann – fast über Nacht – vereiste, mußten die Depots der vielen Baustellen gefüllt werden. Abukow war kreuz und quer unterwegs, aber wenn er im Lager 451/1 erschien, sah er mit Freude, wie groß die Fortschritte waren. Er hielt dann seine Gottesdienste ab, und er konnte es ohne Angst, denn Schriftsteller Arikin und Dirigent Nagijew hatten in die ›Lustige Witwe‹ die verabredete Kirchenszene hineingeschrieben und komponiert, die mit ein wenig Glück auch bei Rassim keinen Verdacht wecken würde. Der getanzte Walzer am Ende des Gottesdienstes sollte jeden Zweifel überdecken.
Taschbai Valerianowitsch Aidarow hatte es geschafft – er sang einen hinreißenden Danilo Danilowitsch . Margarita Nikolajewna Susatkaja war eine herrliche Hanna Glawari , wenn sie ›Ich bin eine anständige Frau …‹ anstimmte.
Was Nagijew als Dirigent aus den Sängern herausholte, war bewundernswert, und die Leistung des Orchesters erschien geradezu unbegreiflich: Mit zwei Geigen, einer Trompete, einer Handharmonika, neun Holzflöten, einer Trommel aus Blech, einer Pauke aus Benzintonnen, Tschinellen aus zwei Topfdeckeln, die Nina aus der Küche gestiftet hatte, einer Triangel aus Eisenstäben, die der Schmied Sakmatow konstruiert hatte, und vier handgefertigten, mit Elektrodrähten bespannten Balalaikas sowie einem von dem Bildhauer aus Block II hergestellten Cello, das mit Katzendärmen zum Klingen kam (in Morosow s Baudorf trauerte man seit Wochen um zwei entlaufene Katzen) – mit diesem Wunder an Improvisation erwies sich wieder einmal die größte Stärke der Russen: Mit einer Handvoll leben können wie ein Bojar.
Der Vorhang war genäht und hing und ließ sich elektrisch bewegen. Kulissen und Versatzstücke waren gemalt. Von der Schneiderei im Frauenlager hörte man, daß die Kostüme noch in dieser Woche geliefert würden. Bataschew erschien noch zweimal mit dem Siebentonner der Witwe Grigorjewa und brachte neue Möbel, denn vor Einbruch des Winters zogen jetzt viele Familien um, und so ein Rangierbahnhof ist ja eine wahre Fundgrube – vor allem für einen Kerl mit der besonderen Moral eines Bataschew . Die Halle war mit Bänken vollgestellt, man hatte sogar die verölten Wände gestrichen. Nur mit der Beleuchtung klappte es noch nicht so richtig, für die Bühne fehlten ein paar Scheinwerfer.
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