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Ein Land, das Himmel heißt

Ein Land, das Himmel heißt

Titel: Ein Land, das Himmel heißt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gercke
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Woche«, sagte ihre Freundin, »passt das?«
    »Ich muss nachrechnen, ich hab es vergessen, ich bin so durcheinander …« Rasch zählte sie an den Fingern die Wochen zurück bis zu jenem kühlen Juliabend. »Kommt hin. Siebzehnte Woche.«
    »Wann sagst du es ihm?«
    »Nach der Beerdigung, es ist besser so. Und wenn es ein Junge wird, nenne ich ihn Tommy, damit ich jeden Tag meines Lebens an ihn denke, an den lebenden Tommy, nicht an den toten.«
    »Tommy. Ich möchte Patentante sein …« Angelicas Stimme war voller Mitgefühl, und Jill wünschte, sie könnte sich für eine Weile in ihre Wärme kuscheln wie in einen flauschigen Mantel.
    »Am liebsten käme ich für ein paar Stunden zu dir, aber es gibt zu viel zu tun. Ich muss noch einen Haufen Leute anrufen – Tita und Neil, natürlich, und ich will Thandi und Popi Bescheid sagen. Sie gehören doch dazu, waren auch mit ihm befreundet. Thandis Adresse kenne ich, weißt du, wie man Popi erreichen kann?«
    »Nein, und ich kann dir nur raten, die Finger von ihm zu lassen. Du hast eine romantische Vorstellung von ihm. Menschen ändern sich, glaub mir. Er ist nicht mehr der Popi, den wir kannten. Je weniger wir heute mit ihm zu tun haben, desto besser.«
    Jill fischte die roten Früchte des Kaffirbaums aus der Hosentasche, sie entglitten ihr, fielen hinunter, hüpften über den Boden und waren weg. Im Teppich verschwunden, unterm Bett, in der Fliesenfuge an der Wand. Nur eine blieb übrig, leuchtete wie ein Juwel in der Sonne gegen das Ocker der Fliesen. Eine einzige. Langsam hob sie ihren Fuß und zertrat die kleine rote Frucht.
    Sie hörte Angelica rufen. Mit einem Ruck kehrte sie in das Jetzt zurück. »Ja, ich bin noch hier.«
    »Wie geht es deinen Eltern, habe ich gefragt«, sagte Angelica, »wie verkraftet es deine Mutter?«
    Die Frage wischte Popis Bild weg. »Es nimmt sie furchtbar mit. Ich habe solche Angst um sie, sie ist geistig völlig abwesend.« Sie schluckte, ihr Hals war plötzlich eng geworden, die Nase verstopft. »Sie scheint nichts um sich herum wahrzunehmen … Moment«, sie klemmte den Hörer zwischen Schulter und Hals und putzte sich die Nase, musste durchatmen, ehe sie weitersprechen konnte, »mir erscheint Tommy plötzlich wie ein Fremder. Hab ich nur diese Seite von ihm sehen wollen und die andere nicht?«, fragte sie kläglich. »Oder gab es den Tommy meiner Kindheit gar nicht? Mein Gott, ich habe ihn nicht gekannt, ich habe nicht wirklich gewusst, wer er war.« Diese Erkenntnis war wie ein glühender Stich in ihr Herz. »Angelica, sag was, bitte!«
    Es dauerte fast eine Minute, ehe sie Angelicas Stimme wieder hörte, und dann war sie so leise, dass sie die Worte nur mit Mühe verstand. »Tommy war so stark … so … so … ich habe ihn so …« Minutenlang war nur das Singen der Leitung zu hören und ganz gedämpft, als hätte sie sich die Faust in den Mund gestopft, das Weinen ihrer Freundin. »Ich bin morgen bei dir«, schluchzte Angelica und legte auf.
    Jill legte den Hörer zurück, vergrub ihr Gesicht in den Händen und weinte endlich, bis sie keine Tränen mehr hatte und ihre Augen vor Trockenheit brannten.
    *
    Nachdem Thomas’ Leiche zur Beerdigung freigegeben war, brachte Phillip Court seinen Sohn zurück auf die Farm. Sie beerdigten ihn auf dem kleinen Friedhof, neben allen, die einst auf Inqaba gelebt hatten. Carlotta stand am Grab, allein, kalt und weiß wie Marmor, die Hände zu Fäusten geballt, ihr Gesicht von ihrem Haarvorhang verdeckt. Die vielen Freunde und Bekannten, die erschienen waren, drückten sich verlegen an ihr vorbei, murmelten scheu ihr Beileid, wagten nicht, sie zu berühren. Jill stand zwischen ihrem Vater und Martin, hielt sich an ihren Händen fest. Die Trauerreden rauschten an ihr vorüber, nur einmal schreckte sie hoch, als die Frauen der Farmarbeiter die Totenklage der Zulus anstimmten. Das hemmungslose Weinen und Wehklagen schnitt durch ihren Schutzmantel. Sie wünschte, die Frauen würden aufhören, sie nicht in ihrer Trauer stören.
    Sie bemerkte einen Mann, der aus dem Schatten des mächtigen, rot blühenden Tulpenbaums, der die Gräber überdachte, auf die andere Seite des Grabes trat, ein muskulöser, mittelgroßer Zulu, eindrucksvoll in seiner beherrschten Haltung. In seiner Hand trug er einen Zweig mit ledrigen grünen Blättern, und sie erinnerte sich dunkel, dass die Zulus mit dem Zweig des Büffeldornbaums die Seele des Verstorbenen zurück in sein Haus brachten. Sie kannte ihn nicht,

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