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Ein Land, das Himmel heißt

Ein Land, das Himmel heißt

Titel: Ein Land, das Himmel heißt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gercke
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er langsam die Geduld verlor.
    Nacht für Nacht grübelte sie darüber nach, wer Tommy genug gehasst haben könnte, ihn auf diese grausige Art umzubringen. Vergeblich durchforstete sie ihr Gedächtnis nach Anzeichen seiner politischen Tätigkeit. Das lag hauptsächlich daran, dass sie sich nicht vorstellen konnte, worin diese bestanden haben könnte. Hatte er Nachrichten übermittelt? Menschen über die Grenze geschmuggelt? War er ein Waffenschieber gewesen, ein Bombenleger, einer, der Menschen getötet hatte? Ein Mörder? Die Gedanken sprudelten, bevor sie ihnen Einhalt gebieten konnte. Nein, schrie sie innerlich auf, nicht Tommy, niemals.
    Doch je mehr sie versuchte, Tommy zu greifen, desto mehr entzog er sich ihr. Sein Bild verblasste, es gab Momente, wo sie sich sein Gesicht nicht mehr vorstellen konnte. Dann saß sie, klatschnass geschwitzt, mitten in der Nacht aufrecht im Bett und musste sich die Hand vor den Mund pressen, um Martin nicht mit ihrem Schluchzen zu stören. Vorsichtig, wie jemand, der im Dunklen seinen Weg sucht, tastete sie sich mit Fragen vor. Fragte Ben.
    »Was, Miss Jill, Master Tom?«, fragte der große Zulu und riss die Augen auf, eine Parodie des unwissenden Schwarzen. »Weiß ich nicht, Master Tom war immer Master Tom.« Ein schrill gackerndes Huhn flatterte verzweifelt in seinem festen Griff. Er drückte fester zu. Es knackte, und das Huhn verstummte, sein Kopf fiel zur Seite, Flügel und Beine wurden schlaff. Ben starrte auf seine Füße, stand einfach da, ein älterer schwarzer Mann in verblichenem Khakihemd und verbeulten braunen Hosen, und wartete, dass sie sich entfernen würde.
    »Nenn mich nicht Miss Jill, sag einfach Jill zu mir«, entgegnete sie automatisch. Frustriert und ärgerlich über sein Ausweichmanöver rannte sie den ganzen Weg von den Hütten zum Haus. Bei ihm würde sie nicht weiterkommen, und Nelly zu fragen hatte keinen Sinn. Auch sie würde vorgeben, nichts zu wissen. Sie fragte Tommys Freunde.
    »Wann hat er nur dieses andere Leben gelebt? Abends, tagsüber, nachts?« Auch von ihnen bekam sie keine Antwort. Es schien ihr, als liefe neben dem Bruder, an den sie sich erinnerte, ein anderer, dunkel wie ein Schatten, dessen Züge sie nicht erkennen konnte, sosehr sie sich auch bemühte.
    Dann bekam sie einen Anruf von Neil. »Jill, kannst du heute am späten Nachmittag zu uns kommen? Am besten allein. Was ich dir zu erzählen habe, ist nur für dich bestimmt.«
    Sie verspätete sich. Die Sonne war nur noch ein rosafarbener Widerschein auf den Wolken über dem Ozean, die Schatten wurden schon schwarz, als sie vor dem Haus der Robertsons eintraf. Sie läutete. Das Tor öffnete sich automatisch. Tita stand im Licht des Eingangs, ihre kupfergoldenen Haare standen wie ein Heiligenschein um das zart gebräunte Gesicht.
    »Jill, du armes Mädchen, du kommst gerade rechtzeitig zum Essen. Das wird dir gut tun.« Das herzliche Lächeln ließ die grün gesprenkelten Augen in dem Kranz feiner Lachfalten funkeln.
    Jill wehrte ab. »Danke, aber ich habe keinen Hunger. Ich krieg einfach nichts runter.« Seit jenem Sonnabend hatte sie jeglichen Appetit verloren, jeder Bissen blieb ihr im Hals stecken.
    »Unsinn«, rief Tita, »du musst einfach essen, in einer solchen Krise muss man etwas im Magen haben.« Sie trat einen Schritt vor. »Twotimes«, sagte sie, nicht sehr laut, »bitte lass die Hunde raus.«
    Erst als der sehnige Schwarze mit dem Busch grau-weißer Kräuselhaare aus dem Schatten der Bougainvillea, die an der Mauer neben dem Eingang hochrankte, hervortrat, sah Jill ihn. Ein heißer Schrecken schoss ihr in die Glieder. Er musste schon dagestanden, sie beobachtet haben, als sie am Tor klingelte. Sie dachte an Angelica. Vor wenigen Wochen war ihre Freundin abends nach Hause gekommen, hatte mit der Fernbedienung das Tor geöffnet, das sich sofort hinter ihr schloss, war ausgestiegen und hatte sich plötzlich zwei Schwarzen mit Messern gegenübergesehen. Sie hatten ebenso unbeweglich wie Twotimes jetzt im Schatten der Büsche vor ihrem Eingang gewartet, waren mit ihr aufs Grundstück gelangt. Jill spürte eine Gänsehaut auf den Armen. Nur Angelicas Geistesgegenwart, ins Auto zu springen, blitzschnell alle Türen zu verschließen und ein Höllenhupkonzert zu veranstalten, das Alastair mit den Ridgebacks alarmierte, hatte ihr das Leben gerettet.
    Aber das hier war ja Gott sei Dank nur Twotimes. Seit über dreißig Jahren wachte er unauffällig über Titas Sicherheit, ließ sie

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