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Ein Mann zum Abheben

Ein Mann zum Abheben

Titel: Ein Mann zum Abheben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Wright
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dass Phil auch nur die flüchtige Illusion verwehrt wird, in diesem Haus warte jemand auf ihn.

    Wenn ich selbst schon überrascht bin, dass ich Zärtlichkeit für meinen von mir getrennt lebenden Mann empfinde, dann ist das nichts im Vergleich zu dem Schock, den andere Leute verspüren, angesichts meines Mitleids für ihn. Inzwischen sind die Blutergüsse auf meinem Gesicht verschwunden, aber als ich dem stämmigen, lärmenden Uptown-Anwalt die Fotos zeigte, die Kelly aufgenommen hatte, geiferte er geradezu. Er sagte: »Mit dem Kerl verfahren wir hart«, und als ich antwortete: »Ich will aber nicht hart mit ihm verfahren«, sah er mich neugierig an, als wäre ich eine dieser gebrochenen Frauen, die glauben, sie würden es verdienen, geschlagen zu werden.
    Mein Scheidungsanwalt hat plumpe Finger, Augen mit schweren Lidern, einen unpassenden schwarzen Pferdeschwanz, der sich wie ein Fragezeichen über seine Schulter legt. Er sieht albern aus, wie einer der letzten alten Musterknaben, aber alle haben mir versichert, dass er der Beste in der Stadt ist, und dass ich ihn, selbst wenn ich ihn nicht leiden könnte, nehmen müsste, bevor Phil ihn nimmt. Das ist die Sorte Mann, die mir die Hälfte von Phils Boot verschaffen kann, wenn Phil denn ein Boot hätte.
    »Wie lautet denn Ihre Geschichte, Herzchen?«, fragte er mich, und für einen Augenblick überlegte ich mir, sie ihm zu erzählen, aber sein Honorar beläuft sich auf vierhundert pro Stunde, und bei solchen Preisen kann ich es mir nicht leisten, von jedem restlos verstanden zu werden.
    Ich setzte an: »Ich habe ihn wirklich betrogen, er hat nur die Einzelheiten falsch verstanden«, aber selbst das öffnet die schwere Tür der Erinnerungen - noch etwas, was ich mir nicht leisten kann. Zumindest nicht gerade jetzt. »Ich möchte bloß fair sein«, sagte ich.
    Er nickte langsam, als wäre es eine ganz neue Erfahrung, Mutter Teresa als Klientin vor sich zu haben. Den versöhnlichen
Weg zu gehen, wird nicht bestraft. Mein Ehemann hat mir dreimal ins Gesicht geschlagen, auf den Kirchenstufen vor hundert Zeugen am Tag vor Ostern. Ich werde einen sehr großzügigen Vergleich bekommen.
    Während Kelly weg ist, wühle ich mich durch die Target-Tüten, bis ich ein Weinglas finde. Ich ziehe den Preisaufkleber ab, nehme mir eine Dose Cola light und gehe ins Schlafzimmer, um das Bett herzurichten. Die Matratze ist alt, ausgeliehen aus dem Gästezimmer in der Eigentumswohnung meiner Mutter, auf der Oberfläche sind Flecken von meinem jugendlichen Menstruationsblut, es sieht aus wie eine Landkarte von der Karibik. Ich habe auch vergessen, bei Target eine Bettauflage zu kaufen, und werde morgen wieder hinfahren müssen. Ich muss eine Liste schreiben.
    Die Betttücher auszubreiten und über die Matratze zu spannen erschöpft mich, und ich lege mich für nur einen Augenblick hin und schließe die Augen. Dieser Tag wird vorübergehen, und der nächste, und der nächste. Es wird viele Kleinigkeiten geben, und ich werde mich um sie kümmern. Die nächsten paar Wochen und Monate werden hart werden, und ich wünsche, ich könnte für uns alle den Schnelldurchlauf einschalten. Ich denke an das kleine tapfere Lächeln, dass Tory mir geschenkt hat, als ich die Disneyposter an ihre Wand geheftet habe. »Sie sind sehr schön«, sagt sie, »so schön wie …«
    Sie wollte »daheim« sagen, korrigierte sich aber schnell und sagte »in Daddys Haus«. Mir brach das Herz, nur für eine Minute, und ich sagte: »Ja, Daddys Haus.« Ich erzählte ihr, dass sie wie die Stadtmaus und die Feldmaus aus der Geschichte sei, die wir immer lesen - wenn sie bei mir ist, ist sie die Stadtmaus, wenn sie bei ihrem Daddy ist, ist sie die Feldmaus. Sie nickte heftig, als ob das alles ein großes Abenteuer sein würde. Natürlich will sie wieder in ihrem alten
Zimmer sein. Die Wohnung ist so leer, dass es darin hallt. Tory wird für das, was sie mitangesehen hat, einen Preis zahlen müssen. Der Tag der Abrechnung wird für sie kommen, und für mich, aber ich kann im Moment nicht stehen bleiben und darüber nachdenken. Die Betttücher haben noch frische Falten, und wenn ich darauf liege, riechen sie stark nach Färbemitteln. Ich hätte sie waschen sollen, bevor ich sie überzog. Ich scheine nicht mehr klar denken zu können. Garcia springt aufs Fensterbrett.
    »Was siehst du?«, frage ich sie. »Siehst du Vögel?« Meine Wohnung liegt im dritten Stock. Ich bin heute die Treppen ein Dutzend Mal hochgestiegen, habe volle

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