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Ein Stueck meines Herzens

Ein Stueck meines Herzens

Titel: Ein Stueck meines Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Ford
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mir besser«, sagte er und betrachtete seinen Unterleib, der zwischen seinen Schenkeln ruhte.
    »Warum denn das, Newel?« fragte sie und fischte nach einem weiteren Kleidungsstück auf dem Fußboden.
    »Ich schaue nicht gerne zu, wenn Frauen sich anziehen«, sagte er. »Ich hab immer zugeguckt, wenn meine Mutter sich anzog, und es war mir peinlich. Es wirkte klinisch auf mich, als würde ich mit ihr über meinen Penis reden.«
    »Hat sie dich zugucken lassen, wenn sie sich  aus gezogen hat?«
    »Hat Hollis mit seinem Schwanz vor deinem Gesicht herumgewedelt, als du ’n kleines Mädchen warst? Hat er doch bestimmt nicht.«
    »Nein«, sagte sie, fuhr flüchtig mit einem Kamm durch ihr Haar und ging ziemlich laut im Dunkeln umher.
    Er kreuzte die Füße unter seinen Schenkeln und breitete das Laken über seinen Beinen aus.
    »Ich möchte was von dir wissen«, sagte sie, warf ihre Bürste in die Tasche und stieß den Deckel mit dem Zeh an.
    »Ich weiß überhaupt nichts. Du bist doch die Weltreisende – du weißt doch alles.«
    »Nun benimm dich nicht gleich wie ein Flegel. Ich will doch bloß was über deinen Vater hören.«
    »Du hast mich schon mal nach ihm gefragt, weißt du noch? Als ich dir erzählt habe, daß er Stärke verkauft hat, hast du gesagt, es interessiert dich eigentlich nicht.«
    »Was ist aus ihm geworden?«
    Er stützte sich auf die Ellbogen und ließ das Laken von seinen Beinen gleiten.
    »Er ist auf dem Weg nach New Orleans in Bastrop, Louisiana, ums Leben gekommen. Er geriet hinter einen großen, offenen Sattelschlepper, und dann wollte er überholen, nehme ich an, genau weiß ich das nicht. Er war Handelsreisender und fuhr nie schneller als hundert, fuhr nie dicht auf andere Wagen auf. Aber aus irgendeinem Grund war er hinter diesem Sattelschlepper, und ganz plötzlich hat sich eine Ladung von gewellten Stahlrohren gelöst und ist abgerutscht, direkt auf ihn zu. Hat ihn geköpft. Er ist einfach sitzengeblieben. Er hätte weiterfahren können, wenn er noch einen Kopf gehabt hätte. Die Rohre haben nicht mal den Kompaß auf dem Armaturenbrett eingebeult.«
    »Newel! Mußt du es unbedingt noch ausmalen?«
    »Es ist das Recht des Sohnes, es auszuschmücken.«
    »Wie alt warst du denn?«
    »Du weißt verdammt genau, wie alt ich war«, sagte er gereizt. »Ist es nicht egal, wie alt ich war?«
    »Ich versuche einfach nur zu verstehen, was dich so quält. Heute hast du vorm A&P angefangen zu hinken und bist, ohne irgendeinen ersichtlichen Grund, weiß wie ’ne Wand geworden. Ich hab mir nur Gedanken gemacht.« Sie hob ihre Bluse vom Fußboden auf.
    »Und was hältst du  jetzt  von Mississippi? New York ist was anderes. Dieser Ort ist sicherlich anders als die meisten, die ich kenne.« Sie schaute zur Wand, fuhr fort, ihre Bluse zuzuknöpfen und hielt nach jedem glänzenden Perlmuttknopf inne, um die Atmosphäre im Zimmer neu abzuschätzen.
    »Was willst du eigentlich wissen?«
    »Ob es dir angst gemacht hat«, sagte sie nüchtern. »Weil dein Vater auf diese verrückte Weise ums Leben gekommen ist.«
    »Ich verstehe«, sagte er, lehnte den Kopf ans Fenster, zog das Laken bis zu seiner Brust hinauf und entblößte sich unterhalb der Taille. »Es ist kein bißchen erschreckender, als es da draußen ist.« Er deutete mit seinem Finger auf die Tür. »Mitten in diesem Haus wohnen verdammte Nutten, direkt unter uns. Wenn sie in der Nähe sind, kann’s richtig  eigen  werden, gemütlich, könnte man sagen, besonders, wenn’s Bimbos sind, was diese Damen zweifellos sind. Das Angebot ist groß genug, wenn man unbedingt Angst kriegen will. Irgendein armer Pakistani hat’s geschafft, sich mitten auf der Kenwood Avenue die Kehle durchschneiden zu lassen. Das ist ziemlich irre.« Er sank wieder aufs Bett zurück.
    »Und wie steht’s mit der andern Sache?« fragte sie.
    »Welcher andern Sache?«
    »Wie dein Vater ums Leben gekommen ist.«
    »Und? Ist dem noch irgendwas hinzuzufügen?«
    »Woher soll ich das wissen?« fragte sie. »Ich versuche bloß, dich aus diesem trostlosen Zimmer rauszuholen und durch dein Jurastudium zu bringen und dich dazu zu bewegen, daß du hier nicht mehr wie ein Schaf im Kreis gehst. Aber du bist wohl entschlossen, in diesem Dreck zu versumpfen.«
    Sie saß auf der Bettkante und wartete.
    »Willst du, daß ich sage, das ist  ihm  passiert, und ich bin mit meiner Vergangenheit nicht klargekommen, weil es so schrecklich war?«
    »Ja.«
    Er zupfte an seinen Brauen herum.

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