Ein Todsicherer Job
sich mit ihr auf den Feldern versteckt hatte und erst wieder nach Hause kommen wollte, wenn ihre Familie die kleine Tochter akzeptierte.
»Nicht shih tzu «, korrigierte Mrs. Korjew, » Schickse .«
»Okay, Schickse. Hund sein Hund«, sagte Mrs. Ling. »Sein unvertretbar.« Der Buchstabe »r« kam in Mrs. Lings Aussprache des Wortes »unvertretbar« überhaupt nicht vor.
»Ist Jiddisch für nicht jüdische Mädchen. Rachel war gewesen Jüdin, ja?« Im Gegensatz zu den meisten russischen Einwanderern, die es in der Nachbarschaft noch gab, war Mrs. Korjew keine Jüdin. Ihre Familie kam aus der russischen Steppe, und sie waren Kosaken gewesen, nicht eben für ihre Hebräerfreundlichkeit bekannt. Sie büßte für die Sünden ihrer Vorfahren, indem sie ihren ausgeprägten Beschützerinstinkt (einer Bärenmutter nicht unähnlich) erst Rachel und jetzt Sophie angedeihen ließ.
»Die Blumen brauchen heute Wasser«, sagte Mrs. Korjew.
Am Ende des Korridors gab es ein großes Erkerfenster, von dem aus man einen wunderbaren Blick auf das Haus gegenüber hatte, auf einen Blumenkasten mit roten Geranien. Nachmittags standen die Asiatischen Großmächte im Flur, bewunderten die Blumen, unterhielten sich darüber, was alles so kostete und dass ihre Schuhe immer unbequemer wurden. Keine von beiden wagte, selbst einen Blumenkasten mit Geranien anzulegen, aus Angst, es könnte danach aussehen, als hätte sie die Idee von gegenüber entliehen, was ohne Zweifel ein eskalierendes Bluenkastenwettrüsten mauslösen würde, was am Ende doch nur Blutvergießen mit sich brachte. Sie einigten sich stillschweigend darauf, die roten Blumen zu bewundern, ohne sie zu begehren.
Mrs. Korjew mochte das knallige Rot. Schon immer hatte sie sich maßlos darüber geärgert, dass die Kommunisten diese Farbe einfach annektiert hatten. Andererseits war die russische Seele – in tausend Jahren der Angst konditioniert – nicht wirklich für ungehemmtes Glücksgefühl gemacht, und deshalb war es vielleicht das Beste so.
Auch Mrs. Ling war vom Rot der Geranien ausgesprochen angetan, denn in ihrer Kosmologie repräsentierte diese Farbe Glück, Wohlstand und ein langes Leben. Sogar die Pforten der Tempel waren rot, und somit stellten die roten Blumen einen der zahllosen Wege zu wu dar – Ewigkeit, Erleuchtung, das ganze Universum in einer Blume. Außerdem war sie überzeugt davon, dass man daraus eine gute Suppe kochen konnte.
Sophie hatte die Farben kürzlich erst entdeckt, und die roten Kleckse vor der grauen Mauer trieben ihr ein zahnloses Lächeln auf das kleine Gesicht.
Die drei waren also gerade damit beschäftigt, sich an den roten Blumen zu ergötzen, als der schwarze Vogel ans Fenster schlug, was die Scheibe mit einem Spinnennetz aus Sprüngen überzog. Statt jedoch abzuprallen, schien der Vogel durch das Netz zu sickern und sich – wie schwarze Tinte – über das Fenster und die Wände des Korridors auszubreiten.
Die Asiatischen Großmächte flüchteten zur Treppe.
Charlie rieb sein linkes Handgelenk, das mit der Plastiktüte gefesselt gewesen war. »Wie? Ihre Mutter hat Sie nach einer Mundspülung genannt?«
Mr. Fresh, der für einen Mann seiner Größe irgendwie dünnhäutig wirkte, sagte: »Zahnpasta, eigentlich.«
»Tatsächlich?«
»Ja.«
»Tut mir leid, das wusste ich nicht«, sagte Charlie. »Sie hätten den Namen ändern können, oder?«
»Mr. Asher, man kann sich nicht ewig dem verweigern, was man ist. Am Ende bleibt einem doch nur, sich seinem Schicksal zu fügen. Für mich gehört dazu, schwarz und zwei Meter zehn groß zu sein, ohne in der NBA zu spielen, Minty Fresh zu heißen und als Totenbote rekrutiert worden zu sein.« Er zog die Augenbrauen hoch, als wollte er Charlie einen Vorwurf machen. »Ich habe gelernt, das alles hinzunehmen.«
»Ich dachte, Sie wollten ›schwul‹ sagen«, sagte Charlie.
»Was? Man muss nicht schwul sein, um Mintgrün zu tragen.«
Charlie betrachtete Mr. Freshs grünen Anzug – aus Krepp und viel zu leicht für diese Jahreszeit – und fühlte sich dem Totenboten mit dem erfrischenden Namen auf sonderbare Weise verbunden. Ohne es zu wissen, erkannte Charlie die Merkmale eines anderen Betamännchens. (Selbstverständlich gibt es schwule Betamännchen: Der Betamännchenfreund wird in der schwulen Gemeinde hoch gehandelt, weil man ihm beibringen kann, wie man sich kleidet, und doch relativ sicher sein darf, dass er niemals einen Sinn für Mode entwickelt und aufsehenerregender wird als
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