Ein verzauberter Sommer: Roman (German Edition)
sie einen Schwarm kleiner Brassen erkennen konnte, die knapp unter der Oberfläche in Formation schwammen, sowie einen flachen, breiten Fels und die Kieselsteine auf dem Meeresboden. Sie hatte das Gefühl, dass sie die Gegend langsam immer besser kennenlernte, und zwar sowohl über als auch unter Wasser.
Tonino schien zum ersten Mal, seit sie ihn kannte, wirklich entspannt zu sein. Sein ewiges Stirnrunzeln war verschwunden, seine Lippen waren nicht zusammengepresst, sondern weich und entspannt, und als er die Sonnenbrille auf den Kopf schob, strahlten seine Augen in der Sonne.
Lächelnd sah er zu ihr und legte die Hand sanft auf ihre. Seine Handfläche war trocken und fest; sie ahnte seine Kraft eher, als dass sie sie spürte. Dieser Mann hatte etwas von dem Stein, mit dem er arbeitete. Als wäre er Teil der sizilianischen Landschaft, als sei er in den Fels selbst eingebettet. Dann berührte das Wasser ihrer beider Haut mit einer feuchten Liebkosung, seine Haut wurde weicher, und sie umfasste seine Hand fester.
»Das ist die Bucht«, erklärte er.
Tess folgte seinem Blick. Er hatte das Boot um die Landspitze treiben lassen, und vor ihnen erstreckte sich jetzt ein halbkreisförmiger Strand mit feinem weißen Sand, der mit roten und cremeweißen Felsen und an den Strand gespültem Seetang übersät war. Vor ihren Augen schlug ein einsamer Schmetterling, ein Admiral, mit seinen herrlichen Flügeln und flog dicht über das flache, aquamarinblaue Wasser.
Tess merkte, dass sie die Luft angehalten hatte. »Das ist eine ganz besondere Stelle«, sagte sie. Aber eigentlich meinte sie: diesen Moment, diese Erfahrung mit dir in diesem Boot, in dieser Bucht. Was immer er war – und da war sie sich immer noch nicht sicher –, sie wusste nur, dass sie sich von ihm angezogen fühlte wie eine Motte vom Licht. Es war ihr unmöglich, ihm zu widerstehen, selbst wenn sie es gewollt hätte.
Er zog sein T-Shirt aus, richtete sich im Boot auf und sprang im hohen Bogen ins Wasser. Das Boot geriet ins Schaukeln. Tess hielt sich an den Seiten fest und lachte. Sie sah zu, wie sein dunkler Schopf zuerst unter Wasser glitt und dann der Rest seines Körpers mit einer einzigen fließenden Bewegung folgte. Wie ein Seehund, dachte sie. Bitte, kein Haifisch. Sie dachte an Robin. Aber das kam immer seltener vor.
Eine kleine rosa Qualle trieb in den kreisrunden Wellen, dort, wo Tonino ins Wasser eingetaucht war. Lächelnd sah sie zu, wie er frisch, nass und grinsend wieder auftauchte.
Tess lachte. Sie wollte auch ins Wasser. Über ihrem Bikini trug sie einen Sarong, den sie ohne größere Umstände abstreifen konnte.
Er zog das Boot weiter ans Ufer und machte es an einem Felsen fest. Das Boot kratzte über die Kiesel, seufzte leise und lag dann still. Tonino streckte ihr die Hand entgegen.
»Grazie.« Sie lächelte.
»Prego.« Spielerisch verbeugte er sich, und Hand in Hand wateten sie durch das Wasser, aber nicht auf das trockene Land zu, sondern ins offene Meer hinein.
»Sollen wir?«
Sie nickte, streckte die Arme aus und schwamm mit langsamen Brustzügen los. Das Wasser fühlte sich auf ihrer heißen Haut kühl an, seidenglatt und berauschend. Sie drehte sich um und ließ sich auf dem Rücken treiben. Die Sonne brannte auf ihren geschlossenen Lidern und erzeugte ein Kaleidoskop rotgoldener Bilder. Das waren die Farben Siziliens, dachte sie. Rote Erde, goldene Sonne. Rote Tomaten, gelber Durum-Weizen.
»Das ist ja wie im Paradies«, rief sie ihm zu. Millionen Meilen entfernt von Familienfehden, Diebstahl, Betrug und Mord. Ganz zu schweigen von der Mafia.
»Einspruch.« Er stand auf und fuhr sich mit der Hand durch sein schwarzes Haar, aus dem das Wasser troff. »Das hier ist das Paradies.«
Mit zusammengekniffenen Augen sah sie zum Gebirge hoch, dessen Silhouette sich vor einem wolkenlosen, azurblauen Himmel abhob. »Kann man diese Bucht über den Pfad, der durch das Naturschutzgebiet führt, erreichen?« Sie konnte den Weg in der Ferne erkennen, ein Band aus roter Erde, das sich zwischen Palmen, Tamarisken und Feigenkakteen hindurchschlängelte.
Er schüttelte den Kopf. »Sie ist nur per Boot zugänglich.« Wieder grinste er. »Zu unserem Glück, findest du nicht auch?«
»Allerdings.« Aber das Wasser – oder etwas anderes – ließ Tess zittern, sodass sie aus dem Wasser an den Strand watete und sich auf den weißen Sand sinken ließ. Die roten Berge, deren Hänge weiter unten mit Sonnenröschen, wildem Rosmarin und
Weitere Kostenlose Bücher