Ein verzauberter Sommer: Roman (German Edition)
Männer mit ihren Kappen, den schwarzen Gesichtern und schmutzigen Kleidern machten ihr ein wenig Angst, obwohl sie wusste, dass das töricht war. Sie sah einen breiten Kanal, auf dem Frachtkähne fuhren, eine große Kirche, eine Tankstelle an einer Straße, die sie für die Hauptstraße hielt, und ein ABC-Kino. Exeter schien eine freundliche Stadt zu sein; irgendwie hatte sie das gewusst.
Als sie vor dem Haus ankamen, stellte sie fest, dass es nicht so prächtig war wie Bea Westermans Haus. Aber es war frisch gestrichen und hatte einen hübschen Vorgarten mit einem Tor und einem ordentlichen Weg. Flavias Herz klopfte zum Zerspringen, und sie atmete schwer. Sie hielt nicht inne, um nachzudenken, sondern hob den schweren Türklopfer an. Peter , dachte sie.
Sie hörte Schritte, sah, dass Licht eingeschaltet wurde, hörte eine Stimme, sah eine weibliche Gestalt, die sich näherte. Ein etwa sechzehnjähriges Mädchen öffnete die Tür, allerdings nicht sehr weit, sondern nur einen Spaltbreit – um die Wärme im Haus zu halten, vermutete Flavia. Sie hatte braunes Haar und strahlend blaue Augen, aber es war nicht das gleiche Blau wie bei Peter, überhaupt nicht.
»Können Sie mir helfen?«, fragte Flavia höflich. Diese Worte hatte sie einstudiert. »Ich bin auf der Suche nach Peter Rutherford. Ich bin eine Freundin aus Sizilien.«
Das Mädchen starrte sie an, als käme sie nicht aus Sizilien, sondern von einem anderen Planeten. »Peter Rutherford?«, wiederholte sie.
»Ja.« Hinter dem Rücken überkreuzte Flavia ihre in Wollhandschuhen steckenden Finger.
»Oh, Rutherford.« Sie runzelte die Stirn, dann drehte sie sich um. »Mum?«, rief sie. »Wie hießen noch die Leute, die vor uns hier gewohnt haben? Rutherford?«
»Ja.« Eine ältere Frau trat in die Diele. Sie trug eine Schürze und Lockenwickler mit einem Haarnetz darüber und hielt ein Geschirrtuch in der Hand. Sie musterte Flavia. »Wen genau suchen Sie?«, fragte sie.
»Peter«, antwortete das Mädchen an Flavias Stelle.
Die Frau nickte. »Der jüngere der beiden Söhne? Mitte zwanzig, groß, blondes Haar?«
Flavia wurde vor Erleichterung fast schwindlig. Dann lebte er also. Er hatte es geschafft.
»Si« , sagte sie. »Ja. Das ist Peter.«
Die Frau nickte und sah Flavia immer noch neugierig an.
»Können Sie mir sagen, wo er jetzt wohnt, bitte?« Sie hielt den Atem an.
»Nur zwei Straßen weiter, glaube ich.« Die Frau warf sich das Geschirrtuch über die Schulter. »Ich sehe ihn manchmal im Laden.«
»Zwei Straßen weiter?«
»Ich schreibe Ihnen den Straßennamen auf.« Die Frau ging, um einen Stift und Papier zu holen.
»Vielen Dank.«
»Ich weiß nur die Hausnummer nicht.«
»Das macht nichts.« Flavia war so aufgeregt, dass sie kaum sprechen konnte. Peter . Sie war ihm so nahe.
Die Frau notierte die Adresse. »Silver Street«, sagte sie. »Ich habe ihn in diese Richtung gehen sehen.«
»Danke. Danke.« Flavia nahm den Zettel und hätte ihn am liebsten geküsst, und die Frau ebenfalls.
»Sie sind ein nettes Paar«, bemerkte die Frau. »Und so ein hübsches Kind. Na, dann viel Glück, Liebes«, sagte sie. »Ich hoffe, Sie finden sie.«
51. Kapitel
U m drei Uhr nachmittags wartete der orangefarbene VW-Bus draußen auf sie. Er zog jede Menge bewundernde Blicke auf sich. Ihr Vater, der am Steuer saß, wirkte ungeheuer cool.
Ginny kletterte hinein. Ihr Vater … Das Gefühl, das dieser Gedanke bei ihr auslöste, war völlig neu für sie.
»Wohin?«, fragte er.
»Zur Pride Bay.« Sie erklärte ihm den Weg. »Da gibt es die beste heiße Schokolade.«
Im Café bestellte er einen Caffè Latte für sich selbst und heiße Schokolade mit Schlagsahne für Ginny.
»Wahrscheinlich hast du eine Menge Fragen«, sagte er und nahm ihr gegenüber Platz. Er sprach langsam, als müsse er seine Worte sorgfältig abwägen. »Zum Beispiel, warum ich so plötzlich auftauche, aus heiterem Himmel, wie deine Oma gesagt hat.«
»Yeah«, gab Ginny spöttisch zurück. Sein Akzent, dieses näselnde Australisch, gefiel ihr, aber sie würde es ihm trotzdem nicht leicht machen. Er war ihr ganzes Leben lang nicht da gewesen, das waren achtzehn Jahre, in denen er Geburtstage, Weihnachten und tägliches Zusammensein verpasst hatte. Das war eine Menge. Mit einer heißen Schokolade war es da nicht getan, nicht einmal mit einer mit Schlagsahne.
Er tippte sich an die Nase. »Ein unerwarteter finanzieller Glücksfall«, erklärte er. »Vermutlich hat deine Mum dir
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