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Ein verzauberter Sommer: Roman (German Edition)

Ein verzauberter Sommer: Roman (German Edition)

Titel: Ein verzauberter Sommer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Hall
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mit mir zu reden«, erklärte er. »Ich habe dich im Stich gelassen, ich habe deine Mutter im Stich gelassen, und mich selbst habe ich erst recht verraten. Als deine Mutter mich am dringendsten brauchte, habe ich mich verdrückt. Ich habe in achtzehn Jahren nicht einmal Kontakt zu dir aufgenommen.«
    »Genau.« Über den Rand ihrer Tasse hinweg sah sie ihn an. Das konnte man wohl kaum als »verpasste Gelegenheit« beschönigen.
    »Ich wollte es«, sagte er. »Mehr, als du dir vorstellen kannst. Gott weiß, wie oft ich einen Stift in die Hand genommen habe, um dir zu schreiben.«
    Ginny wartete ab.
    »Aber ich war so verdammt überflüssig«, erklärte er. »Ich hatte kein Geld, ich habe keinen Beitrag zu deinem Unterhalt geleistet, ich hatte dir nichts zu bieten. Bei Gott, du warst ohne mich besser dran, Ginny.«
    Die Art, wie er ihren Namen aussprach, stimmte sie milder, ein wenig. »Du hättest es versuchen können«, entgegnete sie. »Du hättest mir diese Entscheidung überlassen können.«
    »Yeah.« Er nickte. »Alles hätte anders sein können. Ich hätte anders sein müssen. Vor allem hätte ich nie ein Kind in die Welt setzen dürfen.« Er hielt inne. »Lass dir das eine Lehre sein.«
    Sie blinzelte. Es schien fast, als wüsste er Bescheid. Es konnte so leicht passieren, es wäre ihr und Ben fast passiert … Unwillkürlich empfand sie Sympathie für ihn, vermutlich wegen seiner direkten Art.
    »Wahrscheinlich hast du mich jahrelang gehasst«, sagte er.
    »Eine Zeit lang habe ich dich gehasst«, gab sie zu. Und dann …
    »Ich kann es dir nicht verübeln.« Er zuckte mit den Schultern.
    Ginny hatte ihre Schokolade ausgetrunken und schob die Tasse beiseite. »Was willst du eigentlich von mir?«, fragte sie.
    »Nichts, was du nicht freiwillig geben willst.« Er sah sie eindringlich an. »Ich würde gerne die Chance haben, dich ein wenig besser kennenzulernen, deswegen bin ich gekommen. Aber ich möchte auch versuchen, etwas … nein, nicht wiedergutzumachen, aber wenigstens besser zu machen. Etwas zurückzugeben.«
    »Geld?« Sie schleuderte es ihm in dem wegwerfendsten Ton entgegen, den sie zustandebrachte. Geld konnte nichts wiedergutmachen. Nichts konnte das.
    »Mit Geld kann man sich Freiheit erkaufen«, gab er zurück. »Du hast recht, Geld ist nicht alles. Herrgott, ich habe mich schon vor langer Zeit von allem Materiellen abgewandt, glaub mir. Aber Geld kann dafür sorgen, dass du eine Wahl hast. Geld kann dir das Leben erleichtern. Vielleicht könnte deine Mum ja welches gebrauchen, auch nach all der langen Zeit noch?«
    »Willst du damit dein Gewissen beruhigen?«, fragte Ginny. Sie wollte nicht, dass er sich seiner Schuld so leicht entledigte.
    »Nenne es, wie du willst.« Er beugte sich zu ihr herüber und wackelte mit den Augenbrauen. »Verspätete Unterhaltszahlung?«
    Sie kicherte. Die Sterne meinten es offenbar gerade gut mit ihrer Mutter und schickten ihr einen warmen Regen nach dem anderen: zuerst das Haus auf Sizilien und jetzt das.
    »Erzähl mir von dir.« Er sah sie aufmerksam an. Sein Gesicht erinnerte sie stark an ihr eigenes. Es war komisch, so als sähe man in einen Spiegel, der durch die Zeit reisen konnte. »Ich habe so oft an dich gedacht und mich gefragt, wie du wohl bist.«
    Über eine Stunde später standen sie schließlich auf. Sie hatte ihm von ihrem Leben erzählt. Das fiel ihr leicht, vielleicht weil er sich auch auf eine Art treiben ließ und sie zu verstehen schien, vielleicht auch, weil er ein Fremder war und es leichterfiel, einem Fremden etwas zu erzählen. Jedenfalls hatte die Kugel beim Erzählen ein klein wenig locker gelassen.
    »Was wünschst du dir, Ginny?«, fragte er, als sie das Café verließen.
    Die Million-Dollar-Frage. »Ich will … etwas Ungewöhnliches tun«, sagte sie. »Ich will etwas von der Welt sehen. Ach, weiß nicht.«
    »Und was willst du nicht?«
    Das war einfacher. »Studieren. Psychologie. Zur Uni gehen. In Pridehaven bleiben.«
    Er lachte. »Sonst noch etwas?«
    »Ich will nicht tun, was andere Leute von mir erwarten«, sagte sie und hatte einen vagen Anflug von schlechtem Gewissen gegenüber ihrer Mutter. »Ich will frei sein.« Von der Kugel, meinte sie. Und von allem, wofür sie stand.
    Er nickte. »Hört sich an, als müsstest du weg von hier.«
    Als ob das so einfach wäre.
    Er schloss die Tür des VW auf. Ginny konnte sich ihn nicht zusammen mit ihrer Mutter vorstellen, jetzt nicht mehr. Sie dachte an das Foto im Wohnzimmer zu Hause.

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