Ein verzauberter Sommer: Roman (German Edition)
Familienvendetta.«
»Vendetta?« Millie zog ihre perfekt gezupften Augenbrauen hoch. »Das klingt spannend. Erzähl doch mal.«
Tess zögerte. Aber da das halbe Dorf darüber Bescheid zu wissen schien, handelte es sich wohl kaum um ein wohlgehütetes Geheimnis. Daher umriss sie kurz das Wichtigste. Sogar Pierro wirkte interessiert und blieb bei ihnen auf der Terrasse, um zuzuhören.
»Du meine Güte.« Millie riss die Augen auf. »Was glaubst du, was Il tesoro ist?«
»Ich habe nicht die geringste Ahnung.« Tess wünschte sich allerdings so langsam, es gäbe diesen Schatz gar nicht.
»Und was glaubst du, wohin er verschwunden ist?«
»Ich weiß es wirklich nicht«, erklärte Tess. Sie nahm noch einen Mandel- biscotto von dem Teller, den Millie ihr hinhielt. Biscotti waren ein Traum, wenn man sie in Caffè Latte tauchte. Diät halten konnte sie immer noch, wenn sie wieder in England war. »Giovanni scheint zu glauben, dass er in der Villa versteckt ist. Als ich hier ankam, hat er mich deshalb praktisch ins Kreuzverhör genommen.«
»Wirklich?«, fragte Millie gedehnt. »Ich frage mich, ob er vielleicht weiß, wo er ist.«
Tess war sich nicht sicher, ob sie sich das nur einbildete, aber sie glaubte zu sehen, dass Pierro seiner Frau einen scharfen Blick zuwarf. Die Beziehung zwischen den beiden war schwer einzuschätzen. Pierro schien seine Frau anzubeten, Millie dagegen … Manchmal fertigte sie ihn ziemlich kurz angebunden ab.
»Aber wäre es nicht aufregend, das herauszufinden?« Millie hatte offensichtlich Blut geleckt. Sie ließ nicht locker. »Wo er ist und woraus er besteht, meine ich. Hat deine Mutter dir denn gar keinen Hinweis gegeben? Hast du sie überhaupt danach gefragt?«
»Nein.« Tess musste lachen.
Millie beugte sich verschwörerisch vor, und Tess fing den Duft ihres Parfüms auf; es roch moschusartig und süß. »Vielleicht solltest du das«, schlug sie vor. »Wenn du mehr darüber herausfindest, sieht Tonino die Sache vielleicht anders. Wer weiß?«
»Muma möchte nicht über die Vergangenheit sprechen«, rief Tess ihr ins Gedächtnis. Und warum sollte das dazu beitragen können, Toninos Meinung zu ändern? Für ihn waren die Ereignisse der Vergangenheit durch nichts auszulöschen. Und außerdem hatte sie ihren Stolz. Wenn Tonino wegen eines dummen alten Familienstreits nichts von ihr wissen wollte, dann würde sie ihm nicht nachlaufen.
»Für die Sizilianer«, warf Pierro ein, »ist die Vergangenheit immer mit der Gegenwart verwoben.«
Millie verdrehte die Augen.
Tess konnte ihre Reaktion nachvollziehen. Sizilianische Männer ließen sich nur allzu gern über die Eigenheiten ihres Volks aus. »Ja, wie bei Tonino mit seinen Märchen und Legenden«, sagte sie trotzdem. Vergangenheit und Gegenwart. Manchmal waren sie so miteinander verquickt, dass sie unmöglich zu entwirren waren.
»Du magst ihn sehr gern«, bemerkte Millie. Sie sah Tess mit einem durchdringenden Blick an.
»Ich glaube schon.« Doch sie hörte immer noch Giovannis Stimme. Dieser Mann hat schon so viele Frauen hinters Licht geführt. Das Letzte, was sie brauchte, war noch ein Frauenheld.
Pierro lächelte. »Ihr passt gut zusammen«, meinte er. »Das wäre perfekt, und Millie und ich wären nicht mehr das einzige englisch-sizilianische Paar in Cetaria.«
Millie runzelte die Stirn. »Tess ist zur Hälfte Sizilianerin. Also wäre es nicht dasselbe«, erinnerte sie ihn. Sie hob die Kaffeetasse an die Lippen, und Tess sah erstaunt, dass ihre Hand zitterte. Sie wollte gerade etwas sagen, aber da warf Millie ihr schon wieder ein strahlendes Lächeln zu, und die Gelegenheit war vorüber.
»Ja, natürlich bist du das.« Er schlug sich an die Stirn. »Einen Moment lang hatte ich das glatt vergessen.«
In ihrer Jugend hatte sich Tess ganz und gar nicht als Halbsizilianerin gefühlt. Ihre Mutter war ein wenig anders als andere Mütter, zugegeben, aber abgesehen von Mumas Küche hatte Tess eine sehr englische Erziehung genossen. Doch jetzt und hier hatte sie das Gefühl, als ob auch sie Sizilien im Blut hatte, als ob sie es schon immer im Blut gehabt hatte.
»Jedenfalls gibt es keine Chance, dass wir zusammenkommen«, erklärte sie Pierro und schob ihre Tasse zur Seite. »Ich bin der Feind, und für Tonino ist die Stimme der Vergangenheit lauter.«
»Dann ist er ein Idiot«, gab Pierro galant zurück. »Wusstest du eigentlich, liebe Tess, dass dieses Haus ursprünglich einem von Tonino Amatos Vorfahren gehört
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