Ein verzauberter Sommer: Roman (German Edition)
zubereiteter Tunfisch, sfincione, eine Art sizilianischer Pizza, mit Anchovis und Zwiebeln. Oder man dünstete den Fisch mit Knoblauch, Minze und Nelken. Sarde a beccaficio, gefüllte Sardinen, waren das berühmteste Sardinenrezept, eine Spezialität aus Palermo. Der Name leitet sich von einem kleinen Vogel – beccaficio – ab, dessen Schwanzfedern hoch in die Luft stehen. Für die Füllung nehme man Pinienkerne, Semmelbrösel und Petersilie. Man rollt die Sardinen vom Kopf zum Schwanz auf, legt sie dicht nebeneinander und dreht sie so, dass die Stiele der Lorbeerblätter und die Sardinenschwänze in die Höhe ragen wie die Schwanzfedern des beccaficio .
Das alles schmeckte nach Meer, nach Leichtigkeit und Bewegung, Feuchtigkeit und Sonne. Die sizilianische Küche war verspielt, aber vor allem zollte man auf Sizilien dem Essen Respekt. Denn die Sizilianer wussten, was Hunger bedeutet, immer schon.
54. Kapitel
G inny konnte sich noch immer nicht dazu durchringen, ihn »Dad« zu nennen, obwohl sie ihn fast jeden Tag getroffen hatte, seit er in ihr Leben getreten war. »Es entwickelt sich schon eine Verbindung zwischen uns«, hatte sie Becca erklärt, »aber im Moment fühlt sie sich mehr nach Prittstift als nach Sekundenkleber an.« Oft fuhren sie mit dem VW-Bus irgendwohin, aßen in einem Pub zu Mittag und führten philosophische Diskussionen.
»Was immer du mit deinem Leben vorhast«, sagte er einmal, »vergiss nicht, dass du deine Meinung auch ändern kannst.«
Das klang in Ginnys Ohren ein bisschen schwammig. »Antriebslos, meine Liebe«, konnte sie Nonna beinahe in ihrem klaren, deutlichen und akzentuierten Englisch sagen hören.
»Ja?«, fragte sie zweifelnd.
»Man nennt es ›mit dem Strom schwimmen‹«, erklärte er.
Die Kugel hatte schon mehrmals angedeutet, dass die Philosophie ihres Vaters feige und eigennützig sei, aber Ginny musste zugeben, dass sie ihren Reiz hatte.
»Aber was ist, wenn man dabei andere Leute enttäuscht?«, hatte sie gefragt.
»Es ist dein Leben.«
»Und wenn es einem später leidtut?«
Er zuckte mit den Schultern. »Es war deine Entscheidung.«
»Aber woher weiß man, ob es die richtige Entscheidung zur richtigen Zeit ist oder die richtige zur falschen Zeit oder die falsche zur richtigen Zeit?«, fragte sie.
Er blinzelte. »Man weiß es nicht.«
»Ach.« Ungewissheit war kein Konzept, an das Ginny gewöhnt war. Sie war sich nicht sicher, ob so etwas gut oder schlecht war. In der Philosophie ihres Vaters war es wahrscheinlich keines von beidem. Es war einfach so.
»Die Sache ist die«, erklärte er, »wenn wir uns zu etwas zwingen, das wir nicht tun wollen, oder jemand anderes zwingt uns dazu, dann ist das ein schlechtes Gefühl.«
Wie wahr. Ginny wusste, dass die Kugel daran keine Zweifel anmelden würde. Sie war ein Parasit, sie ernährte sich von so etwas.
»Deswegen ist die simpelste Lösung, es nicht zu tun«, sagte er.
»Der einfachste Weg«, murmelte Ginny.
»Nicht unbedingt.« Ihre Blicke begegneten sich, und der Ausdruck in seinen Augen verriet ihr, dass er an die Zeit dachte, als er nach Australien gegangen war, weil er sich geweigert hatte, Vater zu werden. »Das ist vielleicht die ehrlichste Entscheidung und die einzige Möglichkeit, sich selbst treu zu bleiben. Aber es ist nicht einfach.«
Darüber dachte Ginny nach. Es stimmte, dass es nicht leicht werden würde, wenn sie sich weigerte, zur Uni zu gehen. Inzwischen war das allerdings eher eine theoretische Frage, weil sie ohnehin keinen Platz bekommen würde. Sie würde andere enttäuschen, besonders ihre Mutter und Nonna, aber wenigstens würde sie sich selbst treu bleiben. Und wenn sie richtig überlegte, konnte niemand sie zwingen, und das würde auch niemand tun. Ach, ihre Mutter würde vielleicht eine ihrer Predigten halten, die Predigt über das Thema vertane Chancen, aber wenn es hart auf hart kam, konnte sie rein gar nichts dagegen machen. Und sie würde auch nichts unternehmen. Alles in allem wollte ihre Mutter nur, dass sie glücklich wurde.
»Ich liebe meine Mum«, sagte sie zu diesem Mann, der ihre Mum auch geliebt und ebenfalls enttäuscht hatte.
Er nickte. »Natürlich tust du das.«
»Aber ich muss mal eine Weile von ihr weg«, setzte sie hinzu. »Sie beschützt mich zu sehr.«
Er zog eine Augenbraue hoch. »Es ist doch gut, beschützt zu werden.«
»Yeah.« Sie lachte, weil das das erste Mal war, dass er wie ein normaler Vater geklungen hatte. »Aber ich muss …« Es klang
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