Ein verzauberter Sommer: Roman (German Edition)
in das schwarze Loch. Zeitschriften, alte Sachen, die sie nicht mehr anzog. Sie fühlte sich GUT. Es war wie eine Reinigung, wie eine von Lisas Entschlackungs-Fastenkuren. Weg mit dem Alten, den Giften und dem Staub. Sie arbeitete schneller, immer schneller, zog Shirts und Kleider von Bügeln. Unter dem Bett fand sie einen Haufen alter Schulsachen. Rasch arbeitete sie sich zu Büchern aus ihrer Kindheit vor: Ein Löwe auf der Wiese , die Fünf-Freunde -Bücher , Winnie Puuh . Diese Tüte, beschloss sie, konnte an die Wohlfahrt gehen. Eine Sekunde lang hielt sie inne. Aber dann gesellten sich auch Der Weiße Teddybär und Bill, die kleine Eule zu den fallen gelassenen Freunden. Sie rannte die Treppe hinunter, um noch mehr Mülltüten zu holen. Sie konnte jetzt nicht aufhören. Alter Nagellack, Ohrringe, die sie einmal geliebt hatte (aber in denen sie jetzt nicht einmal mehr tot überm Zaun hängen wollte), ein ganzer Zoo kleiner Tierfiguren, alles wurde hektisch dem schwarzen Abgrund übergeben. Alles, was »Kind« und nicht »Frau« verkündete. Ein paar Plüschhausschuhe in Pinguinform, ein Giraffenposter, ein Kalender von Miffy, dem Hasen, ein Stift, der die Form eines Pfaus hatte, eine Spardose, die wie ein Grizzlybär aussah, eine Decke mit Zebramuster. Was hatte sie bloß mit Tieren? Raus, raus, raus. Die Kugel bebte und rollte.
Sie schaltete wieder die Fratellis ein. Creeping up the Backstairs . Die Musik erfüllte ihren Kopf, und ihre Arme schmerzten. Das war es. Exorzismus. Sie spürte, wie es jede Pore reinigte. Wenn sie fertig war, würde sie das Zimmer weiß streichen und …
Ob die Kugel je verschwinden würde? Würde sie die Kugel damit verjagen?
Am Computer lag ein ganzer Berg Material für das College. Sie hatte ihrer Mutter versprochen, diese Woche ernsthaft zu lernen. Ginny holte tief Luft und warf das Zeug hinterher. Sie wollte nicht zur Uni gehen … SIE WOLLTE GANZ EINFACH NICHT … Sie wartete darauf, dass die Kugel auf diese schockierende Enthüllung reagierte, aber nichts passierte. Sie wollte weg, schon, aber um zu reisen, um die Welt zu sehen, um frei zu sein, um sich neu zu erfinden. Sie wünschte, sie wäre älter. Sie wollte keine Jungfrau mehr sein. Sie wollte … Mist.
Sie setzte sich auf das Bett. Verdammt. Sie war sich nicht sicher, was sie wollte. Aber irgendetwas wollte sie, so viel wusste sie.
13. Kapitel
E in Verrat der übelsten Sorte, dachte Tess, während sie einen Fuß ins Wasser tauchte. Es war warm und einladend, und die Wellen kräuselten sich um ihre Zehen wie Farnwedel. Ein Verrat, ein Diebstahl und alte Familienschulden, mehr hatte sie Giovanni nicht entlocken können. Und es hatten drei sizilianische Familien damit zu tun: die Farros, also die Familie ihrer Mutter, die Sciarras, Santinas und Giovannis Clan, und die Amatos, die Leute des Mosaikbauers. Aber wer hatte wem was angetan? Was war damals in den 1940ern gestohlen worden? Warum war das Verrat? Und hatte es womöglich etwas damit zu tun, dass ihre Mutter Sizilien verlassen hatte?
Tess watete durch die Wellen, und als ihr das Wasser bis an die Oberschenkel reichte, sprang sie mit einer einzigen, fließenden Bewegung kopfüber hinein. Auf den ersten Schock folgte der Moment, den sie liebte, der Moment, wenn Körper und Wasser zu einer Einheit zu verschmelzen schienen. Sie atmete tief aus. Schwimmen, tauchen, sich im Meer bewegen, das würde immer eines ihrer größten Vergnügen sein. Hier konnte man nachdenken oder auch vergessen. Sie schloss die Augen, um sie vor der grellen Sonne des Spätnachmittags zu schützen, und schwamm mit sicheren Zügen ins offene Meer hinaus. Manchmal wünschte sie, sie könnte einfach für immer weiterschwimmen.
Sie war nur eine Woche hier. In dieser Woche musste sie entscheiden, was mit ihrer Erbschaft, der Villa Sirena, geschehen sollte, und sie musste jemanden damit beauftragen, weil sie nicht mehr da sein würde, um sich selbst darum zu kümmern. Problema . Und sie hatte eine Woche Zeit, um herauszufinden, warum ihre Mutter Sizilien verlassen hatte und nie wieder zurückgekehrt war.
Sie drehte sich um, trieb kurz auf dem Rücken und ließ sich von der Strömung davontragen. Wäre es nicht schön, wenn das ganze Leben so wäre? Wenn man sich einfach in Situationen hinein- und wieder heraustreiben lassen könnte – ziemlich so, wie David sich vor und nach ihrer Begegnung hatte treiben lassen. Aber wäre das wirklich so schön? Die meisten Menschen schlugen irgendwann
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