Ein verzauberter Sommer: Roman (German Edition)
bestanden aus …
»Marmor und Kalkstein«, sagte er. »Wir haben auch Korallen. Und Bernstein und Achat. Es gibt hier viele Steine.«
Stein war hier wichtig. Von dem Felsgestein des alten baglio bis zu dem honiggelben Sandstein, aus dem die Häuser gebaut waren. Sie schaute hoch zu der rosafarbenen Villa, die imposant auf dem Gipfel der Klippe thronte. Sie strahlte so viel Energie aus, dass sie zu manchen Tages- oder Nachtzeiten buchstäblich zu vibrieren, beinahe vor Leben zu summen schien.
»Aber wie sind Sie nur auf die Idee gekommen?« Sie war neugierig. »Was hat sie dazu bewogen, Mosaiken aus Glas und Stein herzustellen?«
»Der Prozess dauert lange, aber es ist eine dankbare Aufgabe«, erklärte er ihr. »Die Tätigkeit wirkt beruhigend. Therapeutisch.« Er unterbrach sich kurz. »Und Mosaiken sind ein Teil der sizilianischen Geschichte.« Er stand auf, wischte sich die Hände an seinen Shorts ab und ging in Richtung Atelier. »Sizilien selbst ist ein Puzzle.«
»In welcher Hinsicht?« Ihr blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen. Und außerdem war sie neugierig, Höhle des Löwen oder nicht.
»Die schönsten Mosaiken befinden sich in der Capella Palatina in Monreale«, sagte er. »Sie sollten sie besuchen. Sie stammen aus der byzantinischen Epoche. Byzantinische tesserae sind etwas ganz Besonderes. Sie reflektieren das Licht sehr stark. Blattgold und -silber werden dazu zwischen Glasschichten gepresst. So.« Er machte es mit den Fingern vor.
»Wirklich?« Tess sah sich in dem Atelier um. Es war klein, aber hell. Durch die schmalen Fenster an der Seite fiel zwar nur wenig Licht, aber durch die Vorderfront strömte es geradezu herein. Sie sah eine Werkbank und große Mengen an Werkzeug, Klebern, Schwämmen, Glas- und Metallplatten sowie Töpfe, die mit Stein und Glas in verschiedenen Farben gefüllt waren. Manche hatten bereits Formen, andere waren noch nicht poliert und geschnitten. In der Ecke stand ein kleiner Ofen, und im rückwärtigen Teil erblickte sie einen weiteren Raum mit einem Bett und einem Sofa.
»Die griechischen Mosaikkünstler waren berühmt.« Er füllte eine kleine Espressokanne mit Wasser und schraubte den Filter darauf. »Und auch Palermos normannische Könige haben die Kunst gefördert.«
Tess sah zu, wie er den Deckel einer kleinen Blechdose abnahm und Kaffee herauslöffelte. Sie fing einen Hauch seines Dufts auf. Er roch wie ein niedergebranntes Feuer, nussig, holzig, ein dunkler Geruch. Der Mosaikmann kam ihr nicht mehr allzu gefährlich vor, er wirkte jetzt eher wie ein Geschichtslehrer. Er setzte den Espressokocher zusammen und stellte ihn auf den Herd.
»Aber sie benutzen keine geschnittenen Fliesen wie die meisten Mosaikbauer«, stellte sie fest. Seine Materialien stammten aus der Welt der Natur; hier war kein Blattgold zu finden.
Er wandte ihr den Rücken zu und schaltete den Herd ein. »Die meisten Mosaikbauer benutzen smalti «, erklärte er. »Das ist ein besonderes, stark durchgefärbtes Glas, keine Fliese. Es wird in einem Ofen geschmolzen und dann geschnitten.«
Dieses Verfahren unterschied sich sehr von seiner Methode, Seeglas und Naturmaterialien zu verwenden, überlegte sie.
Er drehte sich zu ihr um. »Steine haben ein langes, ruhiges Leben«, sagte er. »Sie sind unsterblich.«
Tess war sich nicht sicher, was die darauf antworten sollte, aber sie wusste, was er meinte. Es ähnelte auf geradezu unheimliche Art dem, was sie gerade gedacht hatte.
Er öffnete einen Schrank und nahm eine kleine Tube mit Salbe heraus. »Das wird vielleicht helfen.« Er nahm ihren Arm und rieb die verbrannte Stelle mit der weißen Salbe ein. Die intime Geste überrumpelte Tess. Aber seine Berührung war sanft. Ein paar Striche, und es war erledigt.
»Grazie« , sagte sie.
»Das war doch nichts.« Er lächelte. Im Halbdunkel war seine alte Narbe kaum zu erkennen.
Doch, das war etwas. »Wie heißen Sie eigentlich?«, fragte sie ihn. Sie konnte ihn schließlich nicht ewig den »Mosaikmann« nennen. Giovanni hatte ihr seinen Familiennamen verraten, aber …
»Tonino.« Er hielt streckte die Hand aus. »Tonino Amato.«
»Tess«, antwortete sie. »Tess Angel.« Sein Händedruck war fest, seine Handfläche trocken.
»Angel?« Er hielt ihre Hand viel länger fest, als nötig gewesen wäre, und betrachtete sie mit einem Blick, unter dem sie sich unbehaglich fühlte. Als wollte er etwas von ihr, so wie Giovanni.
Tess versuchte, ihn abzulenken. »Und woher beziehen Sie Ihre
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