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Ein verzauberter Sommer: Roman (German Edition)

Ein verzauberter Sommer: Roman (German Edition)

Titel: Ein verzauberter Sommer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Hall
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Fakten über ihren abwesenden Vater zusammengetragen, wie sie konnte. Er hieß David und war, mit den Worten ihrer Mutter ausgedrückt, »so eine Art Althippie«. Und da war das Foto mit den beiden, Mum und David. Er lächelte sorglos, hatte lässig den Arm um sie gelegt und blickte in die Ferne. Sie fragte sich, wo er damals mit den Augen gewesen war, woran er an dem Tag, als das Foto aufgenommen worden war, gedacht hatte.
    Mum musste sie zugutehalten, dass sie David nie kritisiert hatte. »Du warst eine Überraschung«, hatte sie Ginny eines Tages, als sie fünf oder sechs Jahre alt war, erklärt. »Ein kostbares Geschenk.«
    Ein Unfall, meinte sie. Eine ungeplante Schwangerschaft. Inzwischen wusste Ginny das. Aber es gefiel ihr, wie Mum es ausdrückte, so als hätte Ginny eines Morgens als wundervolles Überraschungspäckchen vor der Tür gelegen.
    »Und David?« Sie hatte sich nie überwinden können, »mein Vater« zu sagen, und ihre Mum hatte nie versucht, sie dazu zu zwingen.
    »Er war nicht zum Vater geschaffen«, antwortete ihre Mutter darauf.
    Ginny hatte versucht, ihren Tonfall zu analysieren. Sie hatte sich schon immer für die Persönlichkeit von Menschen interessiert und dafür, was manche Menschen so und andere wieder ganz anders reagieren ließ. Deswegen hatte sie auch am College Psychologie als Schwerpunkt gewählt und sich für September an der Uni um einen Studienplatz in Psychologie beworben.
    Bei diesem Gedanken schauderte Ginny, und sie spürte, wie die Kugel einen Purzelbaum schlug. Der Grund war nicht Vorfreude, sondern maßloses Entsetzen. Hierzulande wurde von jedem erwartet, dass er unbedingt zur Uni gehen wollte, außer natürlich, man war nicht intelligent genug. Es wurde nicht erwartet, dass man solche Angst davor hatte.
    Doch die Psychologie, die Wissenschaft von den Menschen, ihren Gedanken und ihrem Verhalten, von der sie sich so viel versprochen hatte, hatte sich als ein Haufen von Theorien und Statistiken entpuppt, die Ginny schlicht nicht verstand. Ganz ähnlich war es bei der Fotografie, die ihr am Anfang ähnlich verheißungsvoll vorgekommen war. Auch hier ging es eher darum, die Methoden anderer Fotografen zu studieren, als selbst Fotos zu machen. Und »berufsqualifizierende Kompetenzen« bedeutete nur, dass man gut diskutieren lernte (weshalb es wahrscheinlich ihr bestes Fach war). Ginny fand, dass das College ein großer Schwindel war.
    Sie taumelte ein bisschen, nicht vom Alkohol (da hatte sie sich heute Abend zurückgehalten), sondern weil einem das Gehen schwerfiel, wenn der Junge kleiner war als man selbst und er einem den Arm um die Schulter gelegt hatte. Sie ging vornübergebeugt, und ihre Hüfte befand sich auf der Höhe seiner Taille. Eigentlich hätte sie den Arm um ihn legen müssen.
    Wenn ihre Mutter über David und das Vatersein sprach, klang sie weder sehnsüchtig, liebevoll oder bedauernd, sondern nur irgendwie resigniert. Aber warum war er nicht dazu geschaffen? Alle anderen schienen es ja auch hinzukriegen. War das Elternsein nicht etwas, was man trotz allem übernahm, egal, ob man dazu geschaffen war oder nicht?
    »Hast du ihn geliebt?«, hatte Ginny einmal gefragt, als sie ungefähr zehn oder elf war und sich sehr für solche Dinge interessierte.
    »Oh ja«, hatte ihre Mutter geantwortet. »Ich habe ihn geliebt.«
    Das war gut. »Und jetzt?«
    »Jetzt?«
    »Liebst du ihn jetzt immer noch?« Manchmal konnte ihre Mutter erstaunlich begriffsstutzig sein.
    »Nicht auf die Art und Weise, die du meinst«, hatte ihre Mutter gesagt, obwohl Ginny eigentlich keine spezielle Art und Weise gemeint hatte. Sie hatte einfach Liebe gemeint. »Nicht mehr«, fügte ihre Mutter hinzu. »Das ist alles zu lange her.«
    Das war natürlich vor Robin gewesen, in der Zeit, als es keinen Mann im Leben ihrer Mutter gab, allenfalls gelegentliche, unwichtige, nicht erwähnenswerte Verabredungen. Die Zeit der Unschuld war das gewesen, als Ginny viel lachte und alles einfach zu sein schien. Das war natürlich auch vor der Kugel gewesen.
    »Er hat sich also einfach irgendwohin verpisst?«, fragte Ben.
    »Ja. Nach Australien.«
    »Warum bist du nicht mitgegangen und hast mich dort bekommen?«, hatte Ginny ihre Mutter gefragt. Australien gefiel ihr ziemlich gut. Dort wäre ihr Leben ganz anders verlaufen.
    »Ich habe darüber nachgedacht«, sagte ihre Mutter. »Aber ich war schon hochschwanger. Und Nonna und Pops waren ja auch noch da …«
    Selbst mit zehn oder elf wusste Ginny, was sie

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