Ein verzauberter Sommer: Roman (German Edition)
Unverständliches in das Geschirrtuch, das jetzt über ihrer Schulter lag.
Tess ignorierte sie und sagte: »Ich habe sogar zwei sehr attraktive Männer kennengelernt.«
»Alleinstehend?«, hakte ihr Vater nach.
»Eindeutig.«
»Sizilianer, nehme ich an«, sagte ihre Mutter wegwerfend. »Sizilianische Männer umschwärmen eine schöne Frau wie Bienen einen Honigtopf. Ganz zu schweigen von einer Frau mit Eigentum. Und glaub mir, sie sind alle gleich. Sie erwarten zu viel, und sie leben in der Vergangenheit.«
»Nicht unbedingt.« Tess mopste sich eine Tomatenscheibe.
»Finger weg«, sagte ihre Mutter, aber sie lachte. Es war Familientradition, ihr die Zutaten zu stibitzen, bevor sie den Weg in den Topf fanden.
Tess knabberte langsam den Rand der Tomatenscheibe ab. Sie wusste, dass ihre Mutter nicht anders konnte. Sie würde fragen.
»Also, erzähl es mir schon.«
»Was?«
Ihre Mutter schnalzte mit der Zunge. »Wie heißen sie?«
Tess verbarg ihren kleinen Triumph. »Giovanni Sciarra. Der Großneffe deiner alten Freundin Santina. Und …« Sie zögerte. »Tonino Amato.«
»Hmpf.« Ihre Mutter schnaubte erneut.
»Wahrscheinlich kennst du auch Toninos Familie?« Tess ließ ihre Worte beiläufig klingen.
Ihre Mutter öffnete die Tür des Backofens, nahm ihren Hauptgang vom Tisch und setzte ihn mit einer einzigen, geschmeidigen Bewegung auf die mittlere Schiene. »Ja«, sagte sie. »Alberto Amato war der beste Freund meines Vaters.«
Tess versuchte, ihre Aufregung zu verbergen. Muma sprach über Sizilien. »Ist Alberto nicht Fischer gewesen?«, fragte sie. Speerfischer, hatte Tonino gesagt. Sie erinnerte sich, wie stolz er geklungen hatte, als er von seinem Großvater erzählte.
»Ja, das war er.« Ihre Mutter ließ sich erschöpft auf einen Stuhl sinken, und Tess sah, dass ihr Vater ihr einen besorgten Blick zuwarf.
»Er war Toninos Großvater.« Tess nahm den Wein, den sie mitgebracht hatte, und schenkte drei Gläser voll. Ihre Eltern behaupteten stets, dass sie keinen Alkohol tranken, und dann taten sie es doch. »Toninos Vater war auch Fischer. Er hat in der Tunfischfabrik von Cetaria gearbeitet.«
Wieder nickte Flavia. Ihre dunklen Augen waren vom Alter getrübt und milchig, aber sie blickten immer noch wachsam und rege in die Welt. Sie war, dachte Tess, einfach eine bemerkenswerte Frau. »Ich erinnere mich an ihn«, sagte sie. »Er war noch ein Kind, als …«
»Als was?« Tess versuchte, nicht zu neugierig zu wirken.
Ihre Mutter hatte noch nie so viel von Sizilien und den Menschen, die sie dort gekannt hatte, erzählt. Tess traute sich kaum zu atmen, weil sie den Zauber nicht zerstören wollte.
»Alberto und Papa haben stundenlang in der Bar im Dorf gesessen, grappa getrunken und die Welt in Ordnung gebracht.« Sie schmunzelte bei der Erinnerung. »Und ich habe mich oft ewig draußen herumgedrückt und sie belauscht. Bis … bis …« Abrupt verschwand der träumerische Ton aus ihrer Stimme. »Dinge verändern sich«, erklärte sie.
Tess’ Vater trat zu ihr und tätschelte ihre Hand. Die Haut war faltig und mit Altersflecken übersät. Es war eine Hand, die immer gearbeitet hatte, und sie arbeitete auch jetzt noch, obwohl ihre Mutter Arthritis in den Fingergelenken hatte.
Und du?, hätte Tess am liebsten geschrien. Was hast du getan? Aber sie schwieg. Sonst würde Muma vollkommen dichtmachen. »Die Amatos und die Sciarras … Die beiden Familien scheinen sich zu hassen«, sagte Tess erneut so beiläufig wie möglich. Vielleicht kannte ihre Mutter ja den Grund. Vielleicht wusste sie etwas über den Diebstahl und den Verrat, die Schulden und den Mord oder über das geheimnisvolle Etwas, nach dem Giovanni zu suchen schien.
»Das taten sie schon immer«, antwortete Flavia. »Auch ihre Väter und Großväter vor ihnen haben sich gehasst.« Beinahe anklagend wandte sie sich Tess zu. »So ist das auf Sizilien«, sagte sie. »Wer würde sich ein solches Leben wünschen?« Sie stand wieder auf und machte sich daran, die Kochtöpfe zum Einweichen in heißes Wasser zu stellen.
Ach, du meine Güte, dachte Tess. Bei ihrer Mutter bedeutete das: »Stopp, bis hierhin und nicht weiter!«
»Und was war nun mit dem Haus, Schatz?«, schaltete ihr Vater sich diplomatisch ein. »Diese Villa, deine unerwartete Erbschaft. Hat sie dir gefallen?«
»Oh ja.« Tess nippte an ihrem Wein. Und ob sie ihr gefallen hatte. »Ich habe jede Menge Fotos gemacht.« Sie wartete die Reaktion ihrer Mutter ab. »Ich zeige sie
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