Ein verzauberter Sommer: Roman (German Edition)
euch, sobald ich sie heruntergeladen habe.«
Ihre Mutter warf ihr einen Blick zu, der besagte, dass sie sie gar nicht sehen wollte. »Hast du einen Makler beauftragt?«, erkundigte sie sich. »Es ist ruhig dort, aber ganz hübsch für Touristen, nehme ich an.«
Tess fuhr mit dem Finger am Rand ihres Glases entlang. »Also eigentlich …«, sagte sie.
»Tess!« Ihre Mutter setzte sich wieder, dieses Mal abrupter.
Sekundenschnell stand ihr Vater wieder neben ihr. »Flavia? Liebling?«
Sie wedelte mit der Hand, um ihn zu vertreiben. »Mir geht es gut«, sagte sie. Sie warf Tess einen wütenden Blick zu.
»Ich überlege, ob ich die Villa nicht eine Weile behalte.« Also ehrlich. Warum ließ sie sich von den beiden ein schlechtes Gewissen machen? Was war bloß mit ihr los? Was war mit ihrer Familie los? Tess stand auf, drehte den Wasserhahn auf und ließ Wasser ein, um die Kochtöpfe zu spülen. Sie wollte ihre Mutter auf keinen Fall aufregen. Aber das Haus war ihr aus einem bestimmten Grund vererbt worden. All das hatte einen Sinn, anders konnte es gar nicht sein.
»Wozu?«, fragte ihre Mutter ausdruckslos. »Warum solltest du sie behalten wollen?«
»Als Ferienhaus?« Tess wagte nicht auszusprechen, was sie eigentlich gehofft hatte, nämlich dass sie, Ginny und ihre Eltern alle zusammen dorthin fahren könnten. Glückliche Familien, dachte sie trostlos. Sie sehnte sich nach einem Hoffnungsschimmer, besonders nach gestern Abend. Sie spritzte Geschirrspülmittel in die Schüssel und wartete darauf, dass sie sich mit Lauge füllte.
Ihr Vater wusste offensichtlich nicht, wie er sich verhalten sollte. »Das wäre eine Idee, Schatz«, sagte er.
»Eine schlechte Idee«, konterte ihre Mutter. Sie stand auf. »Ich wusste, dass dabei nichts Gutes herauskommen würde«, murmelte sie.
Tess und ihr Vater starrten einander an.
Das Telefon klingelte, und ihr Vater war sichtlich erleichtert, dass er den Raum verlassen konnte, um dranzugehen. »Das wird Joe sein«, sagte er, an niemand Speziellen gerichtet, als er den Raum verließ.
»Das hofft er …« Flavia lächelte versöhnlich.
»So ist es wohl.« Tess erwiderte ihr Lächeln und stapelte die Töpfe in die Spülschüssel. Waffenstillstand. Sie dachte an den Ausflug nach Segesta, den Schuss, den sie gehört hatte. »Kanntest du auf Sizilien jemanden, der mit der Mafia zu tun hatte?«, fragte sie.
Ihre Mutter öffnete Schranktüren, um die Teller für das Abendessen herauszuholen, und knallte sie kräftiger, als notwendig gewesen wäre, wieder zu. Sie schnaubte entnervt. »Mit der Mafia zu tun?«, wiederholte sie. »Ach, Tess. Viele Menschen haben Schutzgeld bezahlt.« Sie trug Platten und Teller zum Tisch. »So war das nun einmal auf Sizilien. Es war ein System, das funktionierte. Die Leute haben es bezahlt wie eine Steuer, und es wurde für sie gesorgt. Viele fanden das gar nicht schlecht.«
Tess runzelte die Stirn. »Hat das System denn während des Krieges auch so weiterbestanden?« Ihre Mutter war damals zwar erst ein Teenager gewesen, aber so, wie sie Muma kannte, hatte sie ziemlich genau gewusst, was vor sich ging, selbst wenn sie heute nicht mehr darüber sprechen wollte.
Flavia zuckte mit den Schultern. »Teilweise. Die Mafia als Organisation war unter Mussolini dazu gezwungen, im Geheimen zu agieren. Aber gegen Ende des Krieges wurde sie wieder mächtig.« Seufzend stellte sie Platten an ihren Platz auf dem Tisch. »Du darfst sicher sein, Tess, dass sie ihre Macht immer behalten wird.«
Und jetzt? Tess schrubbte die Bratpfanne. Hatte sie immer noch Macht?
Ihre Mutter ging in der Küche umher, nahm hier eine Teetasse in die Hand, dort ein Tuch. Es war, als könne sie nicht still sitzen oder stehen bleiben. »Natürlich hat sie wieder an Macht gewonnen, als die faschistische Regierung stürzte«, sagte sie.
»Wie kam das?«
»Weil die Alliierten die Verwaltung Siziliens an Einheimische übergaben, die als Antifaschisten bekannt waren.« Sie lachte.
»Und wer waren diese Männer?« Tess hoffte auf Namen.
»Mafialeute, die sich unter Mussolini bedeckt gehalten hatten«, antwortete ihre Mutter. »Viele von ihnen galten als Ehrenmänner.« Sie richtete sich auf, sah ihrer Tochter aber nicht in die Augen.
Tess war skeptisch. Ihre Mutter glaubte doch wohl nicht alles, was sie da erzählte? »Wer waren sie, Muma?«, wollte sie wissen. »Gab es in Cetaria bestimmte Familien?« Sie wischte sich die Hände an einem Geschirrtuch ab und begann, die Töpfe und
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