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Ein verzauberter Sommer: Roman (German Edition)

Ein verzauberter Sommer: Roman (German Edition)

Titel: Ein verzauberter Sommer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Hall
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zurück nach Sizilien. Sie musste nach Sizilien zurückkehren. Vielleicht war es ihr Schicksal.
    Flavia saß in dem Zimmer, in dem sie gern schrieb, weil man von dort aus in den Garten sah und die Sonne des Juninachmittags hereinströmte und sie wärmte. Sie beobachtete Lenny, der im Garten aufs Geratewohl an der Hecke herumschnippelte. Als sie gehört hatte, dass Edward Westerman gestorben war und ihrer Tochter die Villa hinterlassen hatte, hatte sie gewusst, dass das nur der Anfang war. Sie war eine alte Frau und konnte nicht mit dem Sog Siziliens konkurrieren.
    Also hatte sie Tess ziehen lassen. Und sie hatte es ihr leichter gemacht. Warum? Nun, weil Tess ihre Tochter war – und weil sie so dickköpfig war, dass sie nicht aufgeben würde, bevor das Rätsel nicht gelöst war. Nun gut. Dann sollte es eben so sein. Sie würde versuchen, es zu verstehen.
    Sie lockerte ihre schmerzenden Finger und griff nach dem Stift. Sie würde ihren Teil dazu beitragen. Jeden Tag ein bisschen. Sie würde es schaffen.
    Käse hieß in Sizilien il frutto , die Frucht der Milch. Das war etwas, was Flavia zuerst mehr als alles andere aus Sizilien vermisst hatte. Sie erinnerte sich an den Schäfer aus den Bergen, an sein zerfurchtes Gesicht, den Holzstab, den er trug, und seine kräftigen Stiefel mit den dicken Sohlen.
    Pecorino , Schafskäse, Caciocavallo aus Kuhmilch, Ziegenkäse. Und Ricotta, der aus der Molke anderer Käse hergestellt wurde und gar kein echter Käse war, sondern eben Ricotta.
    Im Dorf hatte sie oft bei der Herstellung des Ricottas zugesehen. Zusammen mit Mama hatte sie in der Hütte mit den geschwärzten Wänden gestanden, während die Milch im Kessel ununterbrochen umgerührt und immer heißer wurde, bis sich die Masse zu trennen begann. Sie roch noch immer den süßen, cremigen Duft des feuchten Käsebruchs, das durchdringende Aroma des Olivenholzes, das unter dem Topf rauchte und Funken sprühte.
    Es gab viele Rezepte mit Ricotta, die Flavia in ihre Sammlung aufnehmen konnte. Ricotta passte zu dolce , zu Spinat, roter Paprika … Man konnte ihn würfeln und mit Oliven, sonnengetrockneten Tomaten und Salatblättern servieren oder Olivenöl darüberträufeln und ihn mit Petersilie, Minze oder schwarzem Pfeffer bestreuen. Er schmeckte nach den Bergen, nach Geschichte, nach dem Anbeginn der Zeiten.
    Flavia hörte ihn aufschreien. Es schien, als seien ihre Ohren sogar im Schlaf auf ihn eingestellt.
    Leise wie eine Katze glitt sie aus dem Bett, wickelte sich in ihren Morgenmantel und rannte über die steinernen Bodenplatten leichtfüßig in sein Zimmer.
    »Pssst, ist ja gut«, flüsterte sie, um ihn zu beruhigen.
    »Es ist so verdammt heiß«, murmelte er. »Ich verbrenne.«
    Ja, er schwitzte. Sie holte einen kalten Waschlappen und legte ihn auf seine Stirn.
    Er bedeckte die Augen mit den Händen. »Es sind die Lichter. Sie blenden mich …«
    Manchmal träumte er von den Lichtern, manchmal waren es die Geräusche, oft beides. Flavia legte ein Tuch über die Lampe an seinem Bett. Sie ließen sie brennen, denn Dunkelheit war ebenfalls ein Problem. Sie wusste, dass er Alpträume hatte. Diesen Traum hatte er schon oft gehabt, seit er bei ihnen war. Sie kannte die Zeichen. Es war ein Traum, eine Rückblende auf den Moment vor dem Absturz seines Flugzeugs.
    »Du bist in Sicherheit«, flüsterte sie auf Englisch, wie sie es immer tat, damit er sie verstand. »Du bist hier, in dem Haus in Cetaria, bei mir.« Es war immer noch dunkel, und abgesehen von ihrem halblaut geführten Gespräch war es still im Haus.
    Im Lauf der letzten Wochen hatte er sie mehr Englisch gelehrt, und sie hatte ihm ein paar Brocken ihrer Muttersprache beigebracht, damit er sich wenigstens ein bisschen mit ihrem Vater verständigen konnte. Das schien wichtig zu sein.
    Mit der Zeit fing er an, nach draußen zu gehen, blieb aber immer in der Nähe des Hauses. Und während er über die Terrassen und durch die ortos ging, wurde sein Bein stärker.
    Jeden Abend vor dem Essen kam ihr Vater zu ihm, brachte ihm ein Glas Wein und erkundigte sich mit ernster Miene nach seinem Befinden.
    »Bene« , antwortete Peter ihm dann. »Grazie, signor.«
    »Aber immer noch sehr schwach«, pflegte Flavia hinzuzusetzen. Natürlich sollte er gesund werden, aber sie wollte nicht, dass er fortging. Seine Wunde war verheilt, und die Metallsplitter hatten sie alle entfernt. Er machte gute Fortschritte. Aber er war noch nicht so weit, dass er sie verlassen konnte, und sie war nicht

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