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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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seinen Teil gedacht haben; auch er neigte dazu, was ihm nicht paßte, zu übersehen und tatsächliche Lücken mit den Kindern seiner Laune aufzufüllen.
    Als beide wieder für sich waren, taten sie so, als sei nichts geschehen. Aus Hoftallers Sicht zeigten die Bronze und Fonty unverrückt ihr jeweiliges Halbprofil. Sosehr der Größenunterschied irritierte, wurde dennoch offensichtlich, daß es dem Bildhauer und Professor Max Wiese gelungen war, eine gewisse Ähnlichkeit, sei es mit dem Unsterblichen, sei es mit Fonty, zuerst in Modellierton anzulegen, dann im Gipsguß zu stilisieren und schließlich durch Ziselierarbeit am Bronzeguß zu steigern; womit bewiesen war, daß der modellsitzende Sohn und Kriegsintendanturrat als familiärer Nothelfer gute Dienste geleistet hatte. Überzeugend die scharfkantige Nase, das unterm Schnauzbart zurückweichende Kinn, die durch fehlenden Haarwuchs besonders hoch wirkende Stirn und der den Augen von vielen Zeitgenossen nachgesagte, mal kühn, mal forschend genannte Blick. Wenn auch die Frisur der Bronze, im Vergleich mit Fontys über die Ohren fusselnden und auf den Mantelkragen kriechenden Strähnen, als zwei zu ordentlich gekämmte Wellen in den Nacken des Dichters fiel, war zumindest, was die flauschigen Koteletten betraf, dieses haarige Detail getroffen. Weil aber der Guß den noch nicht sechzigjährigen Wanderer wiedergab, der bis dahin keine Romane geschrieben und »Vor dem Sturm«, kaum begonnen, wieder beiseite gelegt hatte, wirkte Fonty neben der Bronze greisenhaft vergeistigt, sozusagen mit »Effi Briest« im Kopf und nach längerer Nervenschwäche. Nichts Robustes, keine Forsche ging von ihm aus, eher seine nun deutlich von nervösen Zuckungen begleitete Zerbrechlichkeit. Auch schwamm sein Blick, so daß wir das häßliche Wort »Triefaugen« nicht vermeiden können. »Das reicht, Fonty!« rief Hoftaller. »Fabelhaft, wie Sie diese Touristen ignoriert haben. Sind wie ne Landplage. Müssen alles photographieren, doch genau hingucken, das schaffen die nie.« Dann winkte er ihn mit der Zigarre herab. Aber der alte Mann blieb sitzen. Wie angewachsen saß er und rührte sich nicht. Mehrmals dazu aufgefordert, nun endlich vom Denkmal zu lassen und treppab zu steigen, klebte er dennoch an der Bronze. Wir hielten den Atem an. Er verweigerte sich. Kein noch so scharfer Befehl holte ihn vom Sockel. Fonty ließ sich nicht kommandieren, war seßhaft. Und dann sprach er vom Denkmal herab.
    Anfangs enttäuschend. Wir hätten mehr oder anderes erwartet, etwa einen Erguß über die Unsterblichkeit, gewürzt durch Schillers ewigen Lorbeerzustand und gespickt mit Sottisen den Götzen von Weimar betreffend. Und wenn nichts Boshaftes über andere, so wäre doch vom Denkmal herab als Übersicht ein Panorama des Gesamtwerks zu erwarten gewesen. Wir hätten uns mit einer leidenschaftlichen Deklaration des Menschenrechts auf Zweideutigkeit zufriedengegeben. Oder mit etwas aus dem »Stechlin«, wenn der Alte, anstatt einer Tischrede anläßlich der Hochzeit von Woldemar und Armgard, so vor sich hin plaudert: Jetzt hat man statt des wirklichen Menschen den sogenannten Übermenschen etabliert; eigentlich gibt es aber bloß noch Untermenschen, und mitunter sind es gerade die, die man durchaus zu einem ›Über‹ machen will …« Jadoch! Hätte er nicht aufstehen und stehend den preußischen Adel endgültig verfluchen, den vierten Stand hochleben, sich selbst und den Unsterblichen einschmelzen und durch wortwörtlichen Guß aufs neue in Positur bringen können? Wir hofften daneben. Selbst seinen Tagundnachtschatten mag er enttäuscht haben. Nichts Theatralisches geschah, und wäre ihm auch nur so etwas wie eine Pantomime gelungen. Denn immerhin war, was Fonty betraf, mit Clownerien zu rechnen. Er hätte sich chaplinesk auf den Schoß der sitzenden Bronze lüpfen, den Wanderer umarmen, abküssen können, dabei mit den Beinen strampelnd. Ihm wäre eine Zirkusnummer zuzutrauen gewesen; und als in Angst und Verzücken versetztes Publikum hätten wir ihn gerne akrobatisch und rittlings auf den ehernen Schultern des Wanderers gesehen. Nichts wurde in Szene gesetzt. Ohne mimische Überhöhung, mit eher beleidigtem Unterton ließ sich Fonty zuerst einmal über die neben ihm sitzende Bronze aus. Nörgelnd nahm er Anstoß an der ohnehin bekannten Tatsache, daß nicht der Unsterbliche, sondern dessen Sohn, nein, keineswegs der Buchhändler und Verleger Friedel, vielmehr der Intendantur-Assessor, dann

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