Eine glückliche Ehe
mich schmiegen und sagen: Hellmuth, mein Liebling. Und ich bin Hellmuth Wegener …
Sie fuhren weiter, schlidderten durch Schmallenberg mit seinen schönen Fachwerkhäusern und hielten vor einem langgestreckten Haus, über dessen Eingang ›Hotel‹ stand.
»Warte im Wagen auf mich«, sagte Irmi und stieg aus. »Ich regele das schon.«
»Warum du? Das ist meine Aufgabe.«
»Was hast du zu bieten?« Sie lächelte begütigend. Plötzlich nahm ihr Gesicht einen mütterlich verstehenden Ausdruck an, und sie sah auf einmal älter aus, als sie war. »Einen Blechlöffel aus Sibirien! Damit kommt man heute nicht weiter.«
Sie warf die Autotür zu und ging ins Hotel. Es dauerte ziemlich lange, bis sie wieder herauskam. Ein alter Mann stand hinter ihr, sie lachte und winkte Wegener zu. »Steig aus, Hellmuth!«
Der alte Mann führte sie über einen Flur in eine Art Hinterzimmer, vorbei an der Tür, über der ›Restaurant‹ stand und hinter der man Männerstimmen hörte. In dem Zimmer standen drei Tische, es war nicht geheizt, aber auch nicht zu kalt. Die Tür zur Küche war angelehnt und ließ etwas Wärme herein.
»Wir haben ein Zimmer, Liebling«, sagte Irmgard. »Und gleich bekommen wir einen Braten und Kartoffeln und Bohnen. Ohne Marken. Ich habe zwei Schachteln Süßstoff, drei Schachteln Pyramidon und drei Liköressenzen dagegen eingetauscht. Damit machen sie aus Selbstgebranntem Schnaps die schönsten Sachen.«
Sie nahm ihm das Segeltuchbündel ab, das er immer noch an einem Strick über der Schulter trug, seit Nowo Nigaisk, und stellte es in eine Ecke. Wegener setzte sich, aus der Küche zog Bratenduft, und auf einmal schwitzte er, knöpfte die Uniform auf und schloß die Augen.
Mein Gott, dachte er, es ist unsere Hochzeitsnacht. Die Nacht, von der Hellmuth immer geträumt hatte, von der er immer gesprochen hatte. Nun fand sie statt auf der Strecke zwischen Friedland und Köln, in einem fremden Hotelbett, in einem ungeheizten Zimmer, das sie mit Süßstoff, Pyramidon und Liköressenzen teuer bezahlt hatten.
Er aß, aber er hatte keinen Hunger. Das schöne, gut durchgebratene Fleisch, ein Stück vom Schwein, im Keller großgezogen und dann schwarzgeschlachtet, die mehligen Kartoffeln, die weichen, flachen, fadenlosen Stangenbohnen, sicherlich eigene Ernte aus dem Garten hinterm Haus, es schmeckte alles wie ein Kloß aus Lehm. Er würgte an jedem Bissen und schlang doch alles hinunter, weil er sah, wie glücklich und fröhlich Irmi war.
Die Frau des alten Mannes, eine dickliche, gemütliche Person, kam aus der Küche, setzte sich an den Tisch und begann zu weinen.
»Unser Junge ist draußen geblieben«, sagte sie und drückte die Schürze gegen ihre Augen. »1943. In Rußland. Er starb wie ein Held, schrieb sein Kompaniechef. Was hat er nun davon, daß er ein Held war?! Er sollte das Hotel übernehmen, war fertiger Kellner. Jetzt sind wir Alten allein. Wie's weitergeht, wer weiß das?« Sie trocknete die Tränen aus den faltigen Augenhöhlen und nickte mehrmals vor sich hin. »War's schlimm in Sibirien?«
»Ich habe es überlebt. Tausende andere nicht.«
»Dieser verdammte Krieg!«
»Es wird nie wieder einen geben. Nach diesem Krieg nicht mehr!«
»Glauben Sie das?« Die alte Frau tupfte mit der Schürze ihre Nase ab. »Die ans Regieren kommen, lernen doch nie! Nie mehr Krieg, das haben wir 1918 auch gesagt. Ich hab's ja miterlebt. Und was ist daraus geworden? Sie sind noch jung … Denken Sie mal in zwanzig oder dreißig Jahren daran. Wie wird dann die Welt aussehen?! Genauso dumm wie heute, sag ich Ihnen.«
Wegener nickte. Er zog das Essen lange hinaus, spielte mit dem Fleisch und den Bohnen auf dem Teller, schob alles hin und her. Er hatte Angst vor dem Zimmer, das auf ihn wartete. Angst vor dem Bett. Angst vor dem Alleinsein mit Irmi. Aber gleichzeitig empfand er eine herrliche Sehnsucht nach ihrer Liebe, nach ihrem jungen Körper, nach ihrer zärtlichen Wärme.
Irmgard sah ihm zu, sie war längst fertig mit dem Essen. Er bewunderte ihre Geduld und ihre schweigende Duldung. Die alte Frau erhob sich: »Na denn, gute Nacht, ihr zwei! Macht's einmal besser als wir!« Und ging mit schleppenden Schritten in die Küche.
Wegener legte Messer und Gabel hin. Er konnte nichts mehr herunterschlingen, sein Hals war wie erdrosselt. Er trank das hellgelbe Dünnbier, das immer noch besser schmeckte als das heiße Wasser in Sibirien, das die Russen Kipjatok nannten, wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab
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