Eine Hand voll Asche
werden die Altersschätzung anhand der Schambeinsymphyse weiterentwickeln.«
»Das dachte ich auch«, sagte sie. »Aber je länger ich darüber nachdenke, desto weniger aufregend finde ich es. Die Vorstellung, ein Jahr lang vier- oder fünfhundert Schambeinfugen unter die Lupe zu nehmen, scheint mir doch ein sehr langweiliges Projekt zu sein.«
»Klar, ist ja auch was ganz anderes, als ein Jahr lang Kurven und Statistiken unter die Lupe zu nehmen«, konterte ich.
»Aber es wären Originalkurven und -Statistiken«, sagte sie. »Die Schambeinsymphyse wurde schon die eine Seite rauf- und die andere runterstudiert, also ist alles, was ich mache, absolut unoriginell. Das hier ist völlig neues Terrain. Es könnte uns bei dem Problem helfen, das wir hier vor uns haben: Ist dies Freddie Parnells verbrannter Schädel oder nicht? Im Augenblick fehlen uns die mathematischen Werkzeuge, um es zu messen. Meine Erfahrung und mein Urteilsvermögen – worauf ich mich mangels statistischer Werkzeuge verlassen muss, richtig? –, also, meine Erfahrung und mein Urteilsvermögen sagen mir, dass es nicht Freddie ist.« Ihre Stimme schraubte sich in die Höhe, und ich hörte, dass auch ihr Frust stieg. »Aber meine Erfahrung und mein Urteilsvermögen sagen mir auch, dass wir nicht annähernd genug von diesem verdammten Puzzle zusammengesetzt haben, um das mit Überzeugung sagen zu können. Verdammt.«
Damit legte sie die beiden Knochenstücke in den Sand, stand auf und verließ das Knochenlabor.
Als die Tür hinter ihr ins Schloss fiel, dämmerte mir, dass sie körperlich und seelisch kurz vor dem Zusammenbruch stand – wegen mir, weil sie acht Tage lang Knochenfragmente unter die Lupe genommen hatte und wegen des schrecklichen Überfalls.
Mir dämmerte auch, dass sie, was die Stirnbeinhöhle anging, recht hatte. Es wäre wirklich ein gutes Dissertationsthema. Und dieses spezielle Stückchen rekonstruierter Knochenhöhle war wirklich nicht annähernd groß genug, um uns zu verraten, ob Garland Hamilton sicher tot oder gefährlich lebendig war.
31
Seit Burt DeVriess seine Sammelklage gegen das Trinity-Krematorium in Georgia eingereicht hatte, hatte er mir einen steten Strom von Krematen zur Analyse geschickt. Ich war auch wiederholt mit meiner Briefwaage nach Alcoa gefahren, um die Kremate aus Helen Taylors Einäscherungsofen zu wiegen.
Inzwischen hatte ich fast dreißig Fälle von Trinity bearbeitet, und sie wiesen interessante Ähnlichkeiten und faszinierende Unterschiede auf. Ein konstanter Trend war das Gewicht der Kremate: Die aus Georgia wogen im Schnitt anderthalb bis zwei Kilo, und das war weniger als zwei Drittel dessen, was die aus Tennessee wogen.
Die Kremate aus Georgia enthielten normalerweise eine Mischung aus menschlichen und tierischen Knochen sowie ein verwirrendes Aufgebot an fremden Kontaminanten: Stückchen von verbranntem Holz, Reißverschlüssen, Nägeln und Schrauben und haufenweise Quikrete-Betonmischung, was den Staub, den Sand und die Kieselsteine erklärte. Doch am rätselhaftesten waren die kleinen, flaumigen Stoffkügelchen – ich nannte sie irgendwann »Flauschbällchen« –, deren einziger Zweck, soweit ich das erkennen konnte, darin bestand, das Volumen der Kremate aufzublähen, damit sie nicht so spärlich aussahen.
Kurz nachdem Burt die Klage eingereicht hatte, war ich nach Chattanooga gefahren, um eine eidliche Zeugenaussage zu machen. Ich wurde von einer Heerschar von Anwälten ins Kreuzverhör genommen, die nicht nur Trinity vertraten, sondern ein ganzes Konsortium von Bestattungsunternehmen, die von DeVriess verklagt worden waren, weil sie ihre Kunden betrogen hatten. Die Anwälte unternahmen mehrere höhnische Versuche darzulegen, dass es unmöglich sei, den Unterschied zwischen einem verbrannten menschlichen und einem verbrannten tierischen Knochen zu erkennen. Ich hatte jedoch zahllose Dias mitgenommen, und die Befragung gab mir Gelegenheit, einen Vortrag über die charakteristischen Unterschiede zwischen menschlichen und tierischen Knochen zu halten.
Sehr zu meinem Vorteil wirkte sich auch die Tatsache aus, dass die Knochenbruchstücke aus Georgia bei weitem nicht so gründlich zerkleinert worden waren wie die Knochen, die aus Helen Taylors Aschenmühle kamen. Entweder hatte Trinity keine solche Mühle oder diese stand, genau wie der Einäscherungsofen, unberührt in der Ecke und sammelte Staub an. Trinity hatte jedoch hinter einem Schuppen eine Hackschnitzelmaschine – direkt
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