Eine hinreißende Schwindlerin
seiner kurzen Abstecher bei seinem Stiefvater zu einer Teegesellschaft mit all ihren Puppen eingeladen hatte. Damals war er noch der Überzeugung gewesen, dass er vielleicht imstande sein würde, sich richtig mit ihr zu unterhalten, wenn sie etwas älter und die winzigen Stühle in ihrem Zimmer etwas größer geworden wären.
Aber nun war sie neunzehn. Und sie war viel zu sehr Dame, um ihn noch mit Gebäck zu bewerfen und zu jammern, dass er ihre Teegesellschaft ruiniert hätte.
Laura hatte das Gesicht abgewandt, als betrachtete sie die Ulmen draußen vor dem Fenster. Abwesend zerknüllte sie ihr Retikül mit den Fingern. „Und was mache ich“, fragte sie still, „wenn er aufhört, mich zu mögen?“
Wenn es das ist, was du befürchtest, solltest du ihn nicht heiraten. Aber das zu sagen, wäre dumm und vollkommen egoistisch gewesen. Denn Gareth konnte die Angst nicht abschütteln, dass sie ihren unbeholfenen Bruder vielleicht nicht mehr benötigen würde, sobald sie einmal verheiratet war. Sie würde feststellen, dass diese Nachmittage eine reine Zeitverschwendung waren, und dann war er vollends überflüssig. Ihre Einladungen würden nicht mehr monatlich, sondern nur noch alle zwei Monate erfolgen. Irgendwann würden sie sich dann nur noch im Vorübergehen in der Oper grüßen. Wenn Laura nur halbwegs vernünftig gewesen wäre, hätte sie schon vor Jahren aufgehört, ihn einzuladen.
Ein echter älterer Bruder hätte genau gewusst, wie er seine Schwester in so einem Moment trösten musste. Er hätte sie erst einmal beruhigt, mit ihr gescherzt und alle ihre Probleme gelöst. Aber Laura hatte einen ungeschickten Tölpel zum Bruder, einen verknöcherten Marquess, und Gareth hatte nicht die geringste Ahnung, wie man einen Menschen tröstete.
So wie sie ihn immer wieder einlud, rang auch er sich wie immer eine Antwort ab. „Wenn du dir wirklich Sorgen machst, dass dein Verlobter dich irgendwann nicht mehr mag, dann verdoppele ich eben deine Mitgift.“
Ihre Augen weiteten sich und ihr Mund fing an zu beben.
„Was ist?“, fragte er. „Was habe ich denn dieses Mal falsch gemacht?“
„Glaubst du das wirklich?“, stieß sie erstickt hervor. „Glaubst du, du musst Alex bestechen, damit er etwas für mich empfindet? Dass mich nur dann jemand liebt, wenn du ihn dafür bezahlst?“
Nein.
Gareth hatte gehofft, sich selbst Lauras Liebe erkaufen zu können. Wie konnte er ihr das begreiflich machen? Schon öfter hatte er versucht, sich so aus der Klemme zu helfen, aber damit hatte er stets nur erreicht, dass sie in Tränen ausgebrochen war. Sobald eine Unterhaltung zum Scheitern verurteilt war, blieb einem kaum noch etwas anderes übrig, als das sinkende Schiff zu verlassen. Langjährige Erfahrung hatte ihn gelehrt, dass eine Art, in solchen Momenten nicht zu reagieren, darin bestand, die Punkte aufzuzählen, in denen sie sich irrte. Aber jedes Mal, wenn er ihr zu erklären versuchte, dass sie ihn falsch verstanden hatte, hörte es sich irgendwie so an, als hätte er gesagt: „Du bist eine dumme Gans!“.
Statt ihre Ängste zu zerstreuen, saß er steif auf seinem Stuhl und umklammerte den Rand seines Tellers so fest, dass das dünne Porzellan schmerzhaft in seine Handfläche schnitt.
Und dann hatte er bereits zu lange geschwiegen.
„Von mir aus.“ Lauras Stimme zitterte. „Verdoppele die Mitgift. Es ist mit gleichgültig.“
Nichts hatte sich geändert, seit sie vier Jahre alt gewesen war, abgesehen von den Stühlen. Er ruinierte immer noch alles.
Wahnsinn, so hatte ein Arzt ihm einmal erklärt, bestände darin, immer wieder dasselbe zu tun und jedes Mal auf ein anderes Ergebnis zu hoffen. Deshalb befürchtete Gareth auch nicht, sich zu verlieben, ganz gleich, was Madame Esmeralda ihm prophezeite. Liebe bedeutete, mit ansehen zu müssen, wie seine Schwester mit den Tränen kämpfte. Liebe hoffte, Monat für Monat aufs Neue von ihr eingeladen zu werden. Und Liebe glaubte entgegen aller Wahrscheinlichkeit, dass er es eines Tages schaffen würde, wie ein Bruder mit ihr zu sprechen und nicht wie der kalte, gefühllose Mensch, für den sie ihn halten musste.
Kurz gesagt, Liebe war Wahnsinn.
4. KAPITEL
Und nun habe ich ein neues Kapitel in Sachen Wahnsinn aufgeschlagen, dachte Gareth und lehnte sich in den weichen Polstern der geschlossenen Kutsche zurück. Es war der Abend des Debütantinnenballs, den er und Ned besuchen sollten. Es war fast eine Woche her, seit er Madame Esmeralda aufgesucht hatte, und
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