Eine hinreißende Schwindlerin
Hinsicht hielt. Es war ja nicht so, dass ihre Meinung für ihn irgendwie ausschlaggebend war. Immerhin war Schnitzen nicht unbedingt etwas, das von einem Marquess erwartet wurde. Er verschränkte die Arme und setzte seine kühlste Miene auf. „Diese Aufgabe entsprach nicht ganz meinen Fähigkeiten.“
Sie wirkte verschnupft. „Was haben Sie denn erwartet? Eine Dame mit einem geometrischen Beweis verführen zu können?“
„Verführen?“ Gareth sah anzüglich auf ihren Busen. „Ich dachte, es wäre von Heirat die Rede gewesen.“
Madame Esmeralda wurde rot und gab ihm das Ebenholzstück zurück.
„Halt!“, protestierte Ned. „Ich will es auch sehen.“
Gareth reichte es ihm und warf ihm einen Blick zu, der ihm eine ordentliche Abreibung versprach für den Fall, dass Ned lachen sollte.
Ned rettete sich, indem er nur verwirrt die Stirn runzelte. „Wo ist der Rüssel?“
Gareth fasste erneut in seine Tasche und zog einen dicken Holzspan hervor. „Er ist beim Schnitzen abgebrochen.“
Madame starrte den Span kopfschüttelnd an. „Nun, ich denke, Sie müssen heute Abend vieles tun, was nicht, wie Sie sagen, so ganz Ihren Fähigkeiten entspricht.“
„O ja.“ Gareth seufzte vernehmlich. „Ich muss diesen Elefanten irgendeiner schrecklichen Debütantin schenken, die Sie mir zeigen.“
Wieder schüttelte Madame Esmeralda den Kopf. „Nicht nur das.“
„Was denn noch?“
„Lord Blakely, Sie verschenken also diesen Elefanten. Und dann versuchen Sie bitte noch etwas anderes. Lächeln Sie.“
„Lächeln?“ Er sah sie aufgebracht an. „Ist das die nächste Aufgabe? Ich soll lächeln wie ein Schwachsinniger?“
„Das ist keine Aufgabe“, erwiderte Madame Esmeralda. „Es ist ein Vorschlag.“
„Warum sollte ich lächeln?“
Ned gab Gareth das klägliche Ergebnis seiner Schnitzkunst zurück. „Lächeln ist das, was die meisten Leute mit ihren Lippen anstellen, um Belustigung oder Freude zum Ausdruck zu bringen.“ Er wandte sich an Madame Esmeralda. „Sie verlangen das Unmögliche. Sie sind eine grausame Frau.“
Die Kutsche hielt an und ein Lakai öffnete die Tür. Kühle Nachtluft wehte herein, und das Gespräch stockte vorübergehend, während die kleine Gesellschaft aus der Kutsche stieg.
Gareth verstaute das Ebenholz sorgfältig wieder in seiner Tasche. „Ich werde hier ganz sicher nicht Belustigung oder Freude vorgaukeln.“
„Wie ich eben sagte“, bemerkte Ned leichthin. „Unmöglich.“
Madame Esmeralda strich glättend über den Rock ihres Kleides. „Haben Sie schon einmal in Betracht gezogen, sich heute tatsächlich zu amüsieren?“
„Bei diesem Anlass? In dieser Gesellschaft?“ Gareth blickte zum hell erleuchteten Eingang. „Ned hat völlig recht. Das ist unmöglich.“ Er marschierte voraus und ließ Ned und Madame Esmeralda hinter sich.
Ned stieß einen leisen Pfiff aus. „Was für ein eiskalter Hund.“
Wenn er nur gewusst hätte.
„Lord Blakely, Mrs. Margaret Barnard, Mr. Edward Carhart.“ Die Ankündigung des Majordomus übertönte kaum das Stimmengewirr in dem prächtigen Saal, der sich vor Jenny auftat.
Sie sah Lord Blakely stirnrunzelnd an, schließlich war er derjenige gewesen, der den Majordomus instruiert hatte.
Er beugte sich zu ihr und flüsterte ihr ins Ohr: „Herzlichen Glückwunsch, Meg. Sie sind gerade Witwe geworden und eine entfernte Cousine von mir. Versuchen Sie hier also nicht, als Wahrsagerin aufzutreten.“ Er zog ihre behandschuhte Hand auf seinen Arm und führte Jenny in den Saal.
Er behandelte sie, als wäre sie nichts weiter als eine Lügnerin, als hätte sie sich ihren Beruf nur ausgesucht, weil sie log, sobald sie auch nur den Mund aufmachte. Sie hatte Jahre gebraucht, bis sie Madame Esmeraldas Charakter vervollkommnet hatte, und fast ein Jahrzehnt, bis sie keine Werbung mehr für sich zu machen brauchte, sondern sich allein auf die Mundpropaganda verlassen konnte. Sie konnte sich nicht so einfach aus einer Laune heraus blitzschnell in eine andere Person verwandeln.
Aber noch ehe sie sich bei ihm beschweren konnte, hatten sie den Ballsaal betreten und Jenny vergaß alles andere. Der Saal schien in Flammen zu stehen, so hell war er erleuchtet.
Sie kannte die Gaslaternen auf der Straße, matt orange leuchtende Kugeln, die gedämpfte Schatten warfen. Sie hatte sogar schon selbst gelegentlich Öllampen benutzt, die umständlich zu befüllen waren und einen leicht tranigen Geruch verbreiteten. Doch Häuser, die so wie dieser Saal
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