Eine hinreißende Schwindlerin
Jenny sich jetzt sehr verwundbar. Ihn hatte das Ganze offenbar nicht weiter berührt. Jenny durfte nicht so töricht sein, sich Illusionen über Lord Blakely zu machen. Sie bedeutete ihm nichts. Für ihn war das eine vorübergehende Angelegenheit, ein rein körperliches Vergnügen. Er mochte sie noch so fest in den Armen halten, eines Tages würde er fortgehen. Wenn er das tat, sollte ihr Leben nicht so leer sein wie dieses Zimmer.
Sie schwang die Füße aus dem Bett und stand auf. Ihre Kleidung lag immer noch dort, wo sie sie in der vergangenen Nacht fallen gelassen hatte. Jenny zog sich an, erst das Hemd, dann das Korsett; das Korsett einer einfachen Frau, das eher stützte als formte. Beim Anziehen wurde Jenny noch etwas klar – ihre Sehnsucht danach, geliebt zu werden, hatte sich nicht gelegt in den zwölf Jahren, seit sie sich in diese erste verhängnisvolle Affäre gestürzt hatte.
Ihre Gefühle für Gareth hatten die gefährliche Grenze längst überschritten. Verzweifelt suchte sie in allem, was er sagte, einen Beweis dafür, dass sie ihm etwas bedeutete. Doch abgesehen von ein paar Bemerkungen in leidenschaftlichen Momenten behandelte er Jenny nicht anders, als wäre sie seine Mätresse. Und sie hatte sich geschworen, nie wieder eine Mätresse zu werden. Nicht noch einmal.
Dass er einfach ohne eine Erklärung gegangen war, bedeutete nichts Gutes. Sicher, irgendeines Abends würde er wiederkommen und bestimmt würde er sich den Liebesakt mit ihr mit einem weiteren Möbelstück erkaufen. Vielleicht schenkte er ihr ja ein silbernes Armband, bevor er sie endgültig verließ.
Und vielleicht war sie bis dahin in einer so verzweifelten Lage, dass sie es allein wegen des Geldwerts annahm.
Jenny nahm sich fest vor, sich nicht mehr von ihm zum Narren halten zu lassen. Sie war von ihrer eigenen grenzenlosen Einsamkeit überwältigt worden, dabei gab es Wichtigeres, worüber sie nachdenken musste. Zum Beispiel, wie sie ihre vierhundert Pfund aus Mr. Sevins Klauen retten konnte. Und was sie mit dem Geld anstellen sollte, sobald sie es hatte.
Sie setzte sich aufs Bett, zog die Knie an und schlang die Arme darum. Hätte sie Gareth letzte Nacht nicht dummerweise von ihrer Kindheit erzählt, wäre jetzt alles viel einfacher für sie gewesen. Aber sie hatte sich so nackt und schutzlos gefühlt und er hatte sie hinterher so liebevoll im Arm gehalten. Ihr war gewesen, als wäre sie endlich nach Hause gekommen. Sie hatte noch nie zuvor ein Zuhause besessen.
Verdammt. Die Tatsachen waren ganz simpel. Er war ein Marquess, sie eine Frau mit ruiniertem Ruf, die er sich zu seiner Mätresse genommen hatte. Als Bezahlung akzeptierte sie seine gelegentlichen Freundlichkeiten.
Es war schon viele Jahre her, dass Jenny sich gestattet hatte zu weinen.
Jetzt weinte sie. Sie vergoss bittere Tränen wegen ihrer eigenen Dummheit, wegen ihrer immer noch brennenden Sehnsucht, wegen ihrer Entschlossenheit, stark zu sein und respektiert zu werden. Schluchzend barg sie das Gesicht in den Händen. Es fühlte sich seltsam befreiend an, ihren Tränen, freien Lauf zu lassen.
Sie hatte Weinen immer für ein Zeichen von Schwäche gehalten, aber im Moment konnte sie einfach nicht anders. Durch Weinen löste man keine Probleme, doch nicht zu weinen hatte sich auch nicht als sonderlich hilfreich erwiesen.
Das Knarren einer Tür ließ sie innehalten. Schwere Schritte und das Schürfen von Metall gegen Metall ertönten im vorderen Zimmer. Jenny hob den Kopf und sah Gareth durch den kleinen Flur zwischen ihren beiden Zimmern kommen. Er war ziemlich bepackt; unter einem Arm klemmte ein größeres Bündel, in der anderen Hand hielt er den Kessel aus dem vorderen Zimmer. Er stellte den Kessel auf den Rost im Kamin.
Erst jetzt sah er zu Jenny hinüber und erstarrte erschrocken. Der Lappen, mit dem er den Kessel gehalten hatte, fiel ihm aus der Hand. „Der Teufel soll mich holen“, sagte Gareth langsam, „aber ich weiß in solchen Momenten nie, was ich sagen soll.“
Jenny versuchte, ihr Schluchzen zu unterdrücken. „Du bist nicht weggegangen?“
Er sah sie an, als wäre sie nicht recht bei Trost. „Natürlich bin ich weggegangen. Ich hatte Hunger und konnte hier nichts zu essen finden. Ich habe einen Laib Brot und etwas Käse gekauft. Und Orangen.“ Er stellte alles auf den Tisch. „Warte – du hast geglaubt, ich wäre gegangen, ohne mich von dir zu verabschieden? Hast du mir das wirklich zugetraut?“ Er wirkte zutiefst gekränkt.
Jenny
Weitere Kostenlose Bücher