Eine hinreißende Schwindlerin
Gott!“
„Nun ja“, gab Gareth verschnupft zurück. „Ich weiß eben nicht, was ich tun soll. Ich meinte das ernst mit dem Obst.“
„Ich weiß. Was glaubst du, warum ich zu lachen angefangen habe? Ehrlich, Gareth, du bist wirklich vollkommen hilflos.“
„Hilflos?“ Er runzelte die Stirn. „Ich bin nicht hilflos . Mir fällt nur nichts ein, was ich sagen könnte. Und da du mir nicht erklären willst, was du hast, kann ich das Problem auch nicht beheben.“
„Wenn du das Problem beheben könntest, würde ich auch nicht weinen, oder?“
„Was, zum Teufel, soll ich mit einem Problem anfangen, das ich nicht beheben kann?“
Darauf wusste Jenny auch keine Antwort. Aber eine erschreckend leere Zukunft wartete auf sie. Sie hatte kein Zuhause, in das sie zurückkehren konnte; es gab nicht einmal ein Zurück für sie.
„Es würde schon helfen“, meinte sie mit immer noch tränenerstickter Stimme, „wenn du herkämst.“
Er rückte seinen Stuhl dicht neben ihren. „So etwa?“
Sie nickte. „Und du könntest mich in die Arme nehmen.“
„So?“
Ihre Anspannung fiel ein wenig von ihr ab. „Fast so, nur noch fester. Richtig. Genau so.“
Es war nur eine Illusion, noch dazu eine, die sie selbst eingefordert hatte, aber einen Moment lang konnte sie sich einbilden, dass sie ihm etwas bedeutete.
Das Trugbild währte nicht lange. „Das ist keine vernünftige Art, ein Problem anzugehen“, beklagte er sich.
„Still. Manchmal fließen einem Antworten ohne Worte zu, allein durch eine Berührung.“
„Du meinst so, wie man einen elektrischen Stromkreis schließt?“
Jenny hatte noch nicht viel von diesen neuen Theorien über den Stromfluss gehört, daher konnte sie nichts dazu sagen. Nach einer ganzen Weile meinte sie: „So unrühmlich meine Vergangenheit auch gewesen sein mag, ich wüsste dennoch nicht, was ich daran ändern könnte. Das Leben, das ich nicht leben wollte, erschien mir sehr trostlos ohne die Aussicht auf Belohnung oder Dank. Wahrscheinlich würde eine gottesfürchtige Frau bei dem Gedanken nicht den Mut verlieren, aber Gott war noch nie besonders gut zu mir. Manchmal fühlte ich mich, als hätte man mich in einen Sarg gelegt und mir gesagt, wenn ich nur still genug liegen bleibe, würden die Schreie der Verdammten um mich herum irgendwann zu einem Murmeln abebben. Ich sah die Lehrerinnen um mich herum, lauter kalte, humorlose Frauen. Sie hatten keine Familien, keine Freunde. Ich konnte mich ihren Reihen einfach nicht anschließen. Ich war erst achtzehn, Gareth. Zu jung, mich lebendig begraben zu lassen. Und hier bin ich jetzt. Ich bin mir nicht sicher, wie es weitergehen soll.“
Er strich ihr übers Haar. „Fürs Erste“, begann er und verstummte wieder. Er beugte sich zu ihr und küsste sie auf die Stirn. „Fürs Erste möchte ich, dass du mit mir zusammen weitergehst.“
„Siehst du?“, erwiderte sie. „Das war gut. Eine tröstende Geste, und das ganz ohne mein Zutun. Du lernst schnell. Selbst du mit deiner Schwäche für Logik wirst zugeben müssen, dass eine Berührung Wunder bewirken kann. Alles Kalte in mir fließt davon.“
„Kälte kann nicht fließen“, sagte er und zog sie dichter an sich. „Nur Wärme. Thermodynamisch betrachtet …“
„Gareth?“
Er sah ihr in die Augen.
„Nicht. Nicht jetzt.“
Er tat ihr den Gefallen.
Ein paar Stunden später betrat Jenny vorsichtig die Bank. Drei Bankangestellte waren anwesend. Zu Jennys großer Erleichterung war Mr. Sevin nicht unter ihnen. Sie ging auf einen Mann zu, bei dem sie schon einmal Geld auf ihr Konto eingezahlt hatte. Er sah ihr freundlich entgegen. Zum Glück hatte Mr. Sevin noch keine Geschichten über sie verbreitet.
„Vielleicht können Sie mir behilflich sein“, sprach Jenny ihn an. „Ich scheine mein Sparbuch … verlegt zu haben. Aber ich möchte gern Geld von meinem Konto abheben.“
„Selbstverständlich“, erwiderte er. „Ich habe Sie gleich wiedererkannt. Haben Sie Ihre Kontoinformation dabei?“
Jenny reichte ihm das Papier. Er überflog es rasch und verschwand in einem Nebenzimmer. Als er zurückkehrte, hatte er einen kleinen Stapel an Papieren bei sich und runzelte verwirrt die Stirn.
„Madame … Esmeralda, nicht wahr?“
Jenny überlegte kurz, ihn aufzuklären. Nein. Sie hatte beim letzten Mal gelernt, ihren wahren Namen erst zu nennen, nachdem sie ihr Geld erhalten hatte. „Ja.“
„Nun, das ist sehr eigenartig. Eigentlich erhalten wir kein Konto aufrecht bei einem so
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