Eine hinreißende Schwindlerin
müssen, mit seiner Mutter und all den steinernen Statuen im Salon zu sitzen. Schließlich war ihr Rat von ihm abgeprallt wie Münzen von einer Wand. Sie hatte mit herzbewegenden Worten mit ihm über seine Pflichten und seine Zukunft gesprochen. Er hatte ihr wirklich zuhören wollen, denn sie meinte es nur gut mit ihm. Doch nicht eines ihrer Worte war zu ihm vorgedrungen.
Ned hatte nur dasitzen und abwarten müssen, bis Blakely kam und ihn zu dem imposanten Stadthaus begleitete, in dem Ware wohnte. Blakely würde alles arrangieren. Neds Leben oder Tod.
Aber Ned hatte nicht abgewartet. Stattdessen war er aufgestanden und hatte ihren Redestrom zum Stocken gebracht. Sie hatte die Hand nach ihm ausgestreckt, doch er war schon zur Hautür hinaus und die Stufen hinuntergegangen, ehe sie noch begreifen konnte, was gerade passiert war. Die Last ihrer Fürsorglichkeit war ihm unerträglich.
Er hatte geradewegs die Straße überquert, ohne den Pferdeäpfeln auszuweichen. Und dieser Geruch nach Heu und Stall haftete ihm nun an.
Es war sieben Uhr, und er hatte niemandem gesagt, wohin er ging. Nicht Blakely, der sich in diesem Augenblick sicher gerade bei Lady Kathleen entschuldigte. Nicht dem Butler, der ihm schweigend die Tür aufgehalten hatte. Nicht einmal seiner Mutter, die ihm verwirrt und voller Kummer nachgesehen hatte, als er gegangen war.
Der einzige Mensch, der zu diesem Zeitpunkt wusste, wo Ned sich aufhielt, war Ned selbst, und nicht einmal er konnte sagen, warum er nach all diesen Jahren wieder in diese Straße eingebogen war.
Von außen betrachtet unterschied das fahle Licht der Spielhölle diese nicht von den benachbarten Häusern. Sowohl das Freudenhaus rechts davon als auch die Opiumhöhle links waren aus demselben rußgeschwärzten Stein gebaut, ihre Fenster waren ebenso schmutzig. Es war Jahre her, seit Ned das letzte Mal in dieser Gegend gewesen war.
Eine gefühlte Ewigkeit. Diese Zeit vor zwei Jahren – als er ernsthaft in Gefahr gewesen war, von Cambridge verwiesen zu werden, und in noch ernsthafterer, sein ganzes weiteres Leben zu verspielen – kam ihm so verschwommen und unwirklich vor wie sein jetziger Zustand.
Ein anderer Mensch hatte sich vor vierundzwanzig Monaten in dieses Viertel geschlichen. Und dennoch – was unterschied den Ned von heute von jenem ungestümen Jüngling?
Ein neues Verantwortungsbewusstsein? Kein bisschen. Ned hatte sich zwei Jahre seines Lebens einer Betrügerin anvertraut, die sein Cousin auf Anhieb durchschaut hatte. Doch was er Lady Kathleen angetan hatte, überstieg sogar Madame Esmeraldas äußerst dehnbare Ehrvorstellung.
Erfahrung? Die Erfahrung, ein Narr zu sein.
„Carhart?“
Jemand schlug ihm mit der Hand auf die Schulter, und Ned fuhr hastig herum, einerseits überrascht, andererseits beseelt von dem Verlangen, sich von jedem zu distanzieren, der ihn so vertraulich berührte.
Die Gesichtszüge kamen ihm in dem dämmerigen Licht nur vage bekannt vor. Ned musste seiner Erinnerung gut und gern zwanzig Pfund Gewicht hinzufügen. Nur die von zu viel Alkoholgenuss rot schimmernden, runden Wangen waren noch wie früher.
„Ellison“, stellte Ned mit dumpfer Stimme fest.
Sein schon leicht angetrunkener früherer Freund grinste. Er verströmte den säuerlichen Geruch nach Gin. Ellison war immer schon dafür bekannt gewesen, dass er Hochprozentiges benutzte, um seinen schwachen Willen zu unterjochen.
„Es ist Jahre her“, sagte der Mann und wieder landete seine Hand auf Neds Schulter.
Ned verzog das Gesicht und wich ein Stück zurück.
Ellison verlegte sich darauf, ihm den Finger in die Brust zu bohren. „Dachte, du wärst ein anständiger Mensch geworden.“
„Keineswegs.“ Ned fand, dass auch seine eigene Stimme säuerlich wirkte, wie der Geruch, der ihm aus der Gosse entgegenstieg. „Ich habe eine Zeitlang versucht, so zu tun als ob, aber das passt einfach nicht zu mir.“
Die letzte Chance, sich anständig zu verhalten, hatte er wohl mit seinem Verschwinden am heutigen Abend verspielt. Ned sah plötzlich Lady Kathleen und ihren kahlköpfigen Vater vor sich. Ob sie insgeheim froh war, dass Ned nicht erschienen war? Schließlich gab es für sie nur zwei Alternativen – ein ruinierter Ruf oder die Ehe mit jemandem wie ihm. Sie machte einen sehr intelligenten Eindruck. Nach den Erfahrungen, die sie mit ihm gemacht hatte, musste sie sicher den Ruin vorziehen.
Ellison holte ihn mit einem viel zu lauten Lachen aus seinen trübseligen Gedanken. Er war
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