Eine unbeliebte Frau
aus, das wissen Sie genau.«
»Tja, sonst war keiner dabei«, Rittendorf schob die Hände in die Gesäßtaschen seiner Jeans und wippte auf den Zehenspitzen.
»Sie fühlen sich sehr sicher, nicht wahr?« Bodenstein spürte, dass er langsam ärgerlich wurde.
»Sicher? Weswegen sollte ich mich sicher oder unsicher fühlen?«
»Friedhelm Döring ist heute Morgen vor dem Tor von Gut Waldhof aufgefunden worden«, sagte Bodenstein. »Er wurde fachmännisch kastriert.«
»Oh«, Rittendorf war nicht sonderlich betroffen, »das ist tragisch.«
Inka sagte gar nichts.
»Ich weiß nicht, ob ›tragisch‹ in diesem Zusammenhang das richtige Wort ist«, Bodensteins Stimme bekam einen scharfen Unterton. »Der Mann wurde gefoltert und nackt an das Hoftor gekettet. Aber wie komme ich bloß auf den Gedanken, dass Sie das überhaupt nicht überrascht?«
Ein zynisches Lächeln umspielte die Lippen des Tierarztes, in seine Augen hinter den Brillengläsern trat ein schwer zu deutender Ausdruck. War es Triumph, Zufriedenheit oder Genugtuung?
»Der Mensch ist für den Menschen ein Wolf«, sagte er.
»Steht das auch im Alten Testament? So, wie Leviticus, 24, Vers neunzehn bis zwanzig?«, versetzte Bodenstein und erntete dafür einen langen Blick.
»Nein, das stammt von Plautus«, Rittendorf blieb ungerührt, »homo homini lupus.«
»Hören Sie schon auf mit dem Theater«, sagte Bodenstein ungeduldig. »Ich schicke ein Team der Spurensicherung hierher. Bis dahin betritt niemand euren OP. Körperverletzung ist nämlich kein Kavaliersdelikt.«
Wie auf ein Stichwort öffnete sich in diesem Moment dieTür mit dem Schild »OP«, und Sylvia Wagner kam heraus. Sie blickte erstaunt zwischen Inka, Rittendorf und Bodenstein hin und her.
»Ihr könnt mit der OP anfangen«, sagte sie. »Wir sind fertig mit der Desinfektion, und das Pferd ist so weit, dass wir es hinlegen können.«
Rittendorf warf Bodenstein einen Blick zu.
»Zu spät für die Spurensicherung«, sagte er, sein gespieltes Bedauern war der reine Hohn.
Als Bodenstein um kurz nach elf auf dem Kommissariat eintraf, hatten Behnke und Ostermann Theodor van Eupen, genannt Teddy, bereits so weichgekocht, dass er bereit war zu reden.
Anna Lena Döring hatte ihn als den Mann identifiziert, der sie am Montagabend entführt und seitdem bewacht hatte. Teddy arbeitete seit vielen Jahren für Döring. Offiziell war er Kraftfahrer, aber eigentlich war er zuständig für die Drecksarbeit. In der Öffentlichkeit hatte sich Döring nie in Gesellschaft von Teddy sehen lassen, denn er war sehr darauf bedacht, ein Image als seriöser Geschäftsmann aufzubauen. Die Anwesenheit einer solchen Schlägertype wie Teddy war dafür nicht gerade förderlich. Ostermann und Behnke verließen den Verhörraum, denn Bodenstein wollte mit Pia das Verhör weiterführen. Er hoffte, dass der Mann Vertrauen zu Pia fassen würde. Teddy war ein bulliger, dunkelhaariger Mann mit einem von einer schlimmen Akne zerfressenen Gesicht, das von übertrieben häufigen Solarienbesuchen geradezu gegerbt war.
Er trug einen roten Jogginganzug, seine Muskelberge ließen seine Bewegungen schwerfällig erscheinen. Um seinen Hals, der die Ausmaße eines Oberschenkels hatte, spannte sich eine protzige goldene Panzerkette. Auch wenn er eine geradezuhündische Loyalität zu Friedhelm Döring hegte, hatte er den Ernst seiner Lage erkannt und erstattete nun freimütig Bericht: In Dörings Auftrag hatte er Kerstner und Anna Lena aufgelauert, den Tierarzt niedergeschlagen, gefesselt und die Frau entführt. Auf Geheiß seines Chefs hatte er für diese Aktion das Auto von Manfred Jäger ausgeliehen. Nachdem er Anna Lena in der Döring'schen Jagdhütte bei Rennerod im Westerwald gefesselt zurückgelassen hatte, hatte er das Auto gereinigt und zurückgebracht, bevor er mit seinem eigenen Wagen wieder nach Rennerod fuhr. Unterwegs führte er allerdings noch einen anderen Befehl aus: einen Stein durch das Wohnzimmerfenster von Bodensteins Haus zu schleudern. Bei dieser Äußerung warf Pia ihrem Chef einen fragenden Blick zu, auf den dieser jedoch nicht reagierte.
»Weiter«, sagte er zu Teddy. »Sie fuhren also in diese Hütte zurück.«
Über den Grund der Entführung wusste Teddy nichts, aber er gab zu, dass eine Freilassung von Anna Lena Döring nicht geplant war.
»Ich sollte sie bewachen, bis der Chef mit ihr gesprochen hatte«, erklärte Teddy. »Und dann sollte ich sie verschwinden lassen.«
Pia bekam eine Gänsehaut
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