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Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Titel: Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gilbert Keith Chesterton
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geübtem Griff. Das allein brachte die übrigen zur Vernunft. Wenn Miss Joan Stacey eine Verbrecherin war, dann war sie eine sehr kaltblütige. Father Brown betrachtete sie eine Weile mit einem seltsamen kleinen Lächeln, und dann wandte er sich, ohne den Blick von ihr zu nehmen, an jemand anderen.
    »Prophet«, sagte er, vermutlich zu Kalon, »ich möchte, daß Sie mir so viel wie möglich über Ihre Religion erzählen.«
    »Es ist mir eine Ehre«, sagte Kalon und neigte sein immer noch gekröntes Haupt; »aber ich bin mir nicht sicher, ob ich richtig verstanden habe.«
    »Nun, es ist so«, sagte Father Brown in seiner offenen nachdenklichen Weise. »Nach unserer Lehre ist ein Mensch mit wirklich schlechten Grundsätzen daran wenigstens teilweise selbst schuld. Aber wir können dennoch unterscheiden zwischen einem Menschen, der gegen ein strahlend reines Gewissen handelt und einem, dessen Gewissen von Spitzfindigkeiten umwölkt ist. Sind Sie also davon überzeugt, daß Mord etwas Böses ist?«
    »Ist das eine Anklage?« fragte Kalon sehr ruhig.
    »Nein«, antwortete Brown ebenso sanft, »das ist das Plädoyer für die Verteidigung.«
    In das lange und erschreckte Schweigen des Raumes hinein erhob sich der Prophet Apollos langsam, und wahrlich war es wie der Aufgang der Sonne. Er füllte den Raum mit seinem Licht und Leben auf so intensive Art, daß man das Gefühl bekam, er hätte ebenso leicht die Ebene von Salisbury erfüllen können. Seine in Roben gehüllte Gestalt schien den ganzen Raum mit klassischen Draperien zu versehen; seine epische Geste schien ihn in immer größere Räume zu entgrenzen, bis die kleine schwarze Gestalt des modernen Klerikers wie ein Fehlgriff und ein Eindringling erschien, ein runder schwarzer Fleck auf dem strahlenden Glanz von Hellas.
    »Endlich treffen wir uns, Kaiaphas«, sagte der Prophet. »Ihre Kirche und die meine sind die einzigen Wirklichkeiten auf Erden. Ich bete die Sonne an, und Sie ihren Untergang; Sie sind der Priester des sterbenden Gottes, ich bin der Priester des lebendigen Gottes. Ihr gegenwärtiges Werk der Verdächtigung und Verleumdung ist Ihres Gewandes und Ihres Glaubens würdig. Ihre ganze Kirche ist nichts als eine schwarze Polizei; Ihr alle seid nur Spione und Detektive, die versuchen, den Menschen Bekenntnisse ihrer Schuld zu entreißen, durch Verrat oder durch Folter. Sie wollen die Menschen ihrer Verbrechen überführen, ich will sie ihrer Unschuld überführen. Sie wollen sie von ihren Sünden überzeugen, ich will sie von ihrer Tugend überzeugen.
    Leser der Bücher des Bösen, ein Wort noch, bevor ich Ihre grundlosen Hirngespinste für immer hinwegblase. Nicht einmal im entferntesten können Sie verstehen, wie gleichgültig es mir ist, ob Sie mich überführen können oder nicht. Was ihr Schande und schreckliches Henken nennt, ist mir nicht mehr als der Menschenfresser im Märchenbuch des Kindes dem erwachsenen Mann. Sie sagten, Sie hielten das Plädoyer für die Verteidigung. Mir liegt so wenig an dem Nebelland dieses Lebens, daß ich Ihnen das Plädoyer für die Staatsanwaltschaft anbiete. Nur eines kann in dieser Angelegenheit gegen mich vorgebracht werden, und das will ich selbst sagen. Die Frau, die tot ist, war meine Liebe und meine Braut; nicht nach jener Art, die eure Blechkapellen rechtmäßig nennen, sondern nach einem reineren und strengeren Gesetz, als Sie je verstehen können. Sie und ich, wir wandelten in einer anderen Welt als der Ihren und schritten durch kristallene Paläste, während Sie durch Korridore und Tunnels aus Ziegelsteinen krochen. Ich weiß wohl, daß Polizisten, seien sie theologische oder andere, sich immer einbilden, wo Liebe sei, müsse bald auch Haß sein; und damit haben Sie den ersten Punkt für die Anklage. Der zweite Punkt aber ist gewichtiger; ich will ihn Ihnen nicht verhehlen. Nicht nur ist wahr, daß Pauline mich liebte, wahr ist auch, daß sie noch diesen Morgen, bevor sie starb, an jenem Tische dort ihr Testament geschrieben hat, durch das sie mir und meiner neuen Kirche eine halbe Million vermachte. Alsdann, wo sind die Handschellen? Bilden Sie sich denn ein, es kümmere mich noch, welch törichte Dinge Sie mir antun? Zuchthausstrafe wird mir sein, wie an einer Zwischenstation auf sie warten. Der Galgen wird mir nur sein wie ein Wagen zu ihr ohne Zwischenhalt.«
    Er sprach mit der gehirnerschütternden Autorität des Redners, und Flambeau wie Joan Stacey starrten ihn voll der verblüfften Verwunderung an.

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